Die Epistola de litteris colendis von 784/85, vermutlich aber auch auf ein Datum nach 787 datierbar, ist ein wahrscheinlich von Alkuin verfasstes Sendschreiben Karls des Großen, das ursprünglich an Abt Baugulf von Fulda gerichtet war, dann aber zur weiteren Verbreitung in leicht überarbeiteter Fassung an Angilram von Metz, den Metropoliten der Trierer Kirchenprovinz und obersten Pfalzkapellan, gesandt wurde. Es ermahnte zur Pflege von Bildung und Wissenschaft und warnte vor Einmischung in weltliche Rechtsgeschäfte. Die ältere der beiden erhaltenen Handschriften stammt aus Würzburg (Oxford, Bodleian Library, Cod. laud. Misc. 126; angelsächsische Minuskel, saec. VIIIex) und bietet den ursprünglichen, an Abt Baugulf gerichteten Text. Die jüngere Handschrift (Metz, bibl. mun., 4o nr. 226; saec. XI, 1945 verbrannt), deren Wortlaut durch ältere Editionen gesichert ist, bot die überarbeitete Fassung für Angilram, der mit der weiteren Verbreitung beauftragt wurde.
Die epistola de litteris colendis ist das früheste und eines der wichtigsten Zeugnisse für die gezielte Vorantreibung der karolingischen Bildungsreform durch den Hof Karls des Großen. 789 folgte die noch detailliertere Admonitio generalis. Drei weitere ähnliche Texte stammen aus den Jahren bis 806.
Für den neuen Bildungsansatz der karolingischen Reform ist charakteristisch, dass die Beschäftigung mit Sprache und Schrift ausdrücklich als Dienst an Gott und der Kirche dargestellt wird. Die Epistola de litteris colendis betont die Bedeutung sprachlicher Korrektheit als Voraussetzung für eine angemessene Auslegung der Heiligen Schrift. Die korrekte Handhabung der lateinischen Sprache wird als gottgefällig dargestellt: … ut, qui Deo placere appetunt recte vivendo, ei etiam placere non negligant recte loquendo. (… damit diejenigen, die Gott durch normgerechtes Leben zu gefallen streben, nicht vernachlässigen, ihm auch durch normgerechtes Sprechen zu gefallen). Zusätzlich wird die Notwendigkeit vertiefter grammatischer Kenntnisse (in dem weiten, Sach- und Sprachkenntnisse einschließenden Sinn der antiken Terminologie) für die Bibelauslegung, insbesondere das Eindringen in den mystischen Sinn ihrer Symbolsprache (scemata, figurae, tropi et cetera his similia) betont.
Die Ermahnung der Epistola steht in einer langen Tradition christlicher Gelehrsamkeit, wie sie etwa bei Kirchenvätern wie Hieronymus oder Augustinus, bei spätantiken Autoren wie Cassiodor und Isidor von Sevilla, sowie in angelsächsischen und iro-fränkischen Bildungszentren des 7. und 8. Jahrhunderts vertreten wurde. Im Unterschied zu früheren Jahrhunderten wird Bildung nun jedoch systematisch im Rahmen einer umfassenden Reichsreform gefördert und als politisch-religiöses Projekt verankert.
Edition
- Karoli Epistola de litteris colendis, ed. Alfred Boretius in MGH, Capitularia regum Francorum 1, 1883, S. 78–79 (lateinisch)
Literatur
- Walter Berschin: Biographie und Epochenstil im lateinischen Mittelalter. Band 3: Karolingische Biographie. 750–920 n. Chr. Anton Hiersemann, Stuttgart, 1991, ISBN 3-7772-9102-1, S. 101–113 (Quellen und Untersuchungen zur Lateinischen Philologie des Mittelalters 10).
- Thomas Martin: Bemerkungen zur Epistola de litteris colendis. In: Archiv für Diplomatik. 31, 1985, ISSN 0066-6297, S. 227–272.
- Edmund E. Stengel: Urkundenbuch des Klosters Fulda. Band 1, Teilband 2: Die Zeit des Abtes Baugulf. N. G. Elwert, Marburg 1956, S. 246–254, Nr. 166 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck 10, 1, 2), (maßgebliche Edition).
- Luitpold Wallach: Charlemagne’s De litteris colendis and Alkuin. In: Alcuin and Charlemagne. Studies in Carolingian History and Literature. Cornell University Press, Ithaca NY 1959, S. 202 ff. (Cornell Studies in Classical Philology 32, ZDB-ID 844700-7).
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