Herzogtum Burgund

Das Herzogtum Burgund (lateinisch: Ducatus Burgundiae; französisch: Duché de Bourgogne) war ein mittelalterlicher und frühmoderner Feudalstaat in den nordwestlichen Regionen des historischen Burgunds. Es war ein Herzogtum, das von den Herzögen von Burgund regiert wurde. Das Herzogtum war lehnsrechtlich mit dem Königreich Frankreich verbunden und durch seine Besitzungen auch an das Heilige Römisches Reich gebunden. Es unterschied sich von der Freigrafschaft Burgund (der heutigen Region Franche-Comté). Der erste Herzog von Burgund (lateinisch: dux Burgundiae), der in Quellen mit diesem Titel belegt ist, war 918 Richard der Justiciar.

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Im Jahr 1004 erbte Prinz Heinrich von Frankreich, ein Sohn von König Robert II. von Frankreich, das Herzogtum, trat es jedoch später im Jahr 1032 an seinen jüngeren Bruder Robert ab. Robert wurde zum Stammvater des älteren Hauses Burgund, einem jüngeren Zweig der königlichen Kapetinger-Dynastie, das über ein Gebiet herrschte, das in etwa den Grenzen und Territorien der heutigen Region Burgund (Bourgogne) entsprach. Nach dem Aussterben der burgundischen Männerlinie mit dem Tod von Herzog Philipp I. im Jahr 1361 fiel das Herzogtum an König Johann II. von Frankreich und das königliche Haus Valois zurück. Das Herzogtum Burgund wurde nach 1363 in einen größeren Territorialkomplex eingegliedert, als König Johann II. das Herzogtum an seinen jüngeren Sohn Philipp abtrat. Mit seiner Heirat mit Gräfin Margarete III. von Flandern legte er den Grundstein für einen burgundischen Staat, der sich weiter nach Norden in die Niederlande ausdehnte. Diese Gebiete wurden als burgundische Niederlande bekannt. Mit der Zeit gelangte das Haus Valois-Burgund in den Besitz zahlreicher französischer und kaiserlicher Lehen, die sich von den westlichen Alpen bis zur Nordsee erstreckten und in gewisser Weise an das mittelfränkische Reich Lotharingia erinnerten.

Der burgundische Staat war zu Beginn der Frühen Neuzeit eines der größten Herrschaftsgebiete Europas und einige der reichsten Gebiete Europas wie Flandern gehörten zu ihr. Nach etwas mehr als hundert Jahren Herrschaft des Hauses Valois-Burgund stürzte sich der letzte Herzog, Karl der Kühne, in die Burgunderkriege und wurde 1477 in der Schlacht von Nancy getötet. Das Aussterben der Dynastie führte dazu, dass das Herzogtum von König Ludwig XI. als Provinz in das Königreich Frankreich eingegliedert wurde, während der Großteil der burgundischen Besitztümer in den Niederlanden an Karls Tochter Maria und ihre habsburgischen Nachkommen überging.

Geschichte

Frühe Entwicklung (10.–13. Jahrhundert)

Im Westfrankenreich entstand um 900 das Herzogtum Burgund als Lehnsherzogtum, benannt nach dem größeren Regnum Burgundiae. Dieses leitet seinen Namen von den antiken ostgermanischen Volk der Burgunden ab, die das Königreich Burgund begründet hatten. Der Bosonide Richard der Gerichtsherr hatte Ende des 9. Jh. im Norden dieses Gebiets eine quasi-herzogliche Gewalt etabliert. Nach einer Phase rivalisierender Adelsfamilien (Robertiner, Bosoniden) kam das Herzogtum ab 956 weitgehend unter die Herrschaft der Kapetinger. 1032 wurde Robert I. Herzog von Burgund, womit die ältere Linie Burgund der Kapetinger begründet wurde. Der Begriff ducatus Burgundiae wurde erstmals 1075 erwähnt. Die Kapetinger regierten das Herzogtum bis 1361 und konsolidierten im 12. Jahrhundert ein Kerngebiet um wichtige Burgen wie Dijon, Beaune, Autun, Avallon, Semur und Châtillon-sur-Seine. Burgund blieb formal Teil des französischen Reichsverbandes, erlangte aber unter der schwächer werdenden königlichen Zentralgewalt erhebliche Autonomie. Odo IV. wurde 1331 durch seine Ehe mit Johanna III. von Burgund Inhaber der Pfalzgrafschaft und musste dafür die Lehnshoheit des römisch-deutschen Kaisers anerkennen.

Das Hochmittelalter prägten lokale Fehden des burgundischen Adels und die Klostergründungen von Cluny (910) und Cîteaux (1098) auf burgundischem Boden, die als Reformzentren weit über Burgund hinaus wirkten. Im 13. Jahrhundert war das Herzogtum Burgund ein mittelgroßes Fürstentum im Osten Frankreichs; es wurde 1361 durch den Tod Herzog Philipps I. (Philipp von Rouvres) lehnsfrei („erledigtes Lehen“).

Aufstieg der Valois-Herzöge und machtpolitischer Höhepunkt (1363–1477)

1363 übergab König Johann II. Burgund als neues Lehen an seinen jüngsten Sohn Philipp den Kühnen, Begründer der burgundischen Valois (Haus Burgund). Es folgte die Reihe der sogenannten Großen Herzöge von Burgund: Philipp der Kühne (reg. 1363–1404), sein Sohn Johann Ohnefurcht (reg. 1404–1419), Philipp der Gute (reg. 1419–1467) und Karl der Kühne (reg. 1467–1477). Durch geschickte Heiratspolitik, Erbschaften und Eroberungen bauten diese Herzöge ein Territorialkonglomerat auf, das Burgund zu einer europäischen Großmacht des Spätmittelalters machte. Den Grundstein legte Philipp der Kühne mit seiner Ehe (1369) mit Margarete von Flandern, die ihm Flandern, Artois, Nevers und die Freigrafschaft Burgund (Franche-Comté) zubrachte. Diese Besitzungen nördlich und östlich der traditionellen Bourgogne gehörten teils zum Heiligen Römischen Reich, was das entstehende Gebilde zu einem Zwischenreich zwischen Frankreich und dem deutsch-römischen Reich machte.

Johanns konfliktreiche Regierungszeit brachte keine großen Neuerwerbungen, aber eine weitere Loslösung vom französischen Königshof: 1407 ließ Johann Ohnefurcht seinen Rivalen Ludwig von Orléans (Vetter des Königs) ermorden, was Frankreich in einen Bürgerkrieg stürzte. Im Hundertjährigen Krieg verbündeten sich die Burgunderherzöge phasenweise mit England gegen Frankreich; 1430 überlieferte Philipp der Gute gar Jeanne d’Arc den Engländern, die von ihnen hingerichtet wurde.

Philipp der Gute erweiterte seinen Herrschaftsraum ab 1420 massiv: durch Kauf, Erbschaft oder Krieg gewann er die Herzogtümer Brabant (mit Antwerpen), Limburg und Luxemburg, die Grafschaften Hennegau, Holland, Seeland und Namur sowie Gebiete in der Picardi. Bis 1443 gelang den Burgundern die Vereinigung fast aller heutigen belgisch-niederländischen Landesteile unter einer Personalunion unabhängiger Gebiete. Die Burgundische Niederlande mit ihren reichen Städten (Gent, Brügge, Brüssel) wurden nun zum wirtschaftlichen und politischen Schwerpunkt des burgundischen Staates, während das alte Herzogtum Burgund um Dijon eher ländlich-feudal geprägt blieb. 1464 rief Philipp der Gute erstmals die Generalstände der Niederlande zusammen, um Vertreter aller Gebiete zu versammeln, ein Schritt zur staatlichen Einheit, der aber die Eigenständigkeit der einzelnen Länder noch unberührt ließ. Im Vertrag von Arras 1435 versöhnte sich Burgund mit König Karl VII. und beendete den Bund mit England im Gegenzug für territoriale Zugeständnisse, was Burgund de facto zur unabhängigen Macht neben Frankreich aufsteigen ließ.

Herzog Karl der Kühne versuchte in den 1470er Jahren, das weit verstreute „Burgunderreich“ zu einem geschlossenen Königreich zu machen. Er annektierte das Herzogtum Geldern, das Bistum Lüttich und zeitweise die Herzogtümer Lothringen und Bar, um eine Landbrücke zwischen Burgund und den Niederlanden zu schaffen. 1473 verhandelte Karl in Trier mit Kaiser Friedrich III. über die Erhebung zum König von Burgund, doch das Vorhaben scheiterte am Widerstand der Reichsfürsten. Karls aggressive Expansionspolitik führte zum Konflikt mit dem Reich (u. a. die Belagerung von Neuss) und den Eidgenossen: In den Burgunderkriegen 1474–1477 fügten die Schweizer Truppen dem burgundischen Heer drei vernichtende Niederlagen zu (bei Grandson und Murten 1476, bei Nancy 1477). Karl der Kühne fiel am 5. Januar 1477 in der Schlacht bei Nancy. Mit ihm erlosch die direkte männliche Linie des Hauses Valois-Burgund. Dies bedeutete das abrupte Ende der spätmittelalterlichen Großmacht Burgund.

Teilung des Erbes und Integration in Frankreichs (1477–1789)

Karls Erbtochter Maria von Burgund konnte das Burgunderreich nicht zusammenhalten und das burgundische Erbe wurde Teil des habsburgisch-französischen Rivalität. Maria heiratete 1477 den Habsburger Maximilian I., wodurch das burgundische Erbe an das Haus Habsburg überging. Frankreich versuchte in den folgenden Burgundischen Erbfolgekriegen (1477–1493) vergeblich, auch die reichen Niederlande zu erobern. Das eigentliche Herzogtum Burgund, das Gebiet um Dijon, wurde von König Ludwig XI. als heimgefallenes Lehen eingezogen und durch den Frieden von Arras (1482) endgültig Frankreich einverleibt. Im Frieden von Senlis 1493 erhielt Maximilian (für seinen Sohn Philipp den Schönen) Artois und die Freigrafschaft Burgund zurück; das Herzogtum Burgund blieb jedoch bei Frankreich. Die habsburgischen Burgundischen Niederlande – ein komplexer Verband von Herzogtümern, Grafschaften und Städten – wurden fortan als eigener Block innerhalb des Reiches organisiert (1506 unter Philipp dem Schönen, Sohn Maximilians, und ab 1512 im Burgundischen Reichskreis).

Die Einheit dieser „burgundischen“ Länder brach im 16. Jahrhundert auseinander, als die nördlichen Provinzen im Achtzigjähriger Krieg gegen die Herrschaft Philipps II. rebellierten. Nach langen Kämpfen entstand 1579/1581 die unabhängige Republik der Vereinigten Niederlande, anerkannt endgültig im Westfälischen Frieden 1648. Die südlichen Niederlande (heutiges Belgien und Luxemburg) verblieben bei den Habsburgern (zunächst der spanischen, ab 1714 bei der österreichischen Linie).

Das Herzogtum Burgund als französische Provinz bestand weiter und wurde als Provinz Burgund (Bourgogne) vom Königreich verwaltet. Im Frieden von Cambrai 1529 verzichtete Kaiser Karl V. formell auf habsburgische Ansprüche auf das Herzogtum; Burgund war damit endgültig Teil Frankreichs. Die Freigrafschaft Burgund (Franche-Comté) hingegen blieb noch bei Habsburg-Spanien, wurde aber 1678 im Frieden von Nijmegen an Frankreich abgetreten. Bis zur Französischen Revolution 1789 behielt Burgund eine gewisse historische Eigenständigkeit als Provinz mit eigenem Gericht und Ständen. Während der Revolution wurden die alten Provinzstrukturen abgeschafft – auch Burgund wurde in Départements aufgeteilt, womit das jahrhundertelang bestehende Herzogtum als territoriale Einheit endete.

Staat und Verwaltung

Das spätmittelalterliche Burgund war ein komplexer Herrschaftsverbund aus dem französischen Herzogtum und zahlreichen zugekauften oder ererbten Territorien, die rechtlich eigenständig blieben. Die Herzöge von Burgund waren in Personalunion sowohl Vasallen des französischen Königs (für die Stammlande) als auch Reichsfürsten des Heiligen Römischen Reiches (für Flandern, Brabant, die Freigrafschaft etc.). Jeder Landesteil hatte eigene Ständeversammlungen, Gesetze und Gewohnheitsrechte, die die Herzöge respektieren mussten. Die burgundischen Herzöge strebten dennoch danach, ihr heterogenes Gebiet staatsähnlich zu organisieren. So schufen sie zentrale Institutionen nach französischem Vorbild: Einen herzoglichen Rat (Conseil) als Beratungs- und Regierungsorgan, eine Kanzlei für die Verwaltung und eine Kammer der Finanzen (Chambre des comptes) zur Rechnungsprüfung. Die États de Bourgogne bildete eine Ständeversammlung bestehend aus Klerus, Adel und Städten, welcher im 14. Jahrhundert erstmals zusammentrat und bis 1789 bestand und u. a. über Besteuerung mitbestimmte.

Um die unterschiedlichen Fürstentümer enger anzubinden, setzten die Herzöge überregional tätige Statthalter (Stadhouder) als ihre Stellvertreter ein. Ab 1385 berief Philipp der Gute gemeinsame Generalstände für die Niederlande ein, an denen Vertreter des Klerus, Adels und der Städte teilnahmen.Karl der Kühne ging noch weiter und etablierte 1473 in Mechelen einen obersten Gerichtshof, den Großen Rat, für alle seine Besitzungen im Norden, analog zum Parlement de Paris, um eine einheitliche Rechtsprechung zu erzwingen. Zudem führte er stehende Söldnertruppen ein, um unabhängiger von adligen Heeren zu werden. Diese straffe Zentralisierung stieß jedoch in vielen Provinzen auf Widerstand, da sie Privilegien verletzte. Insbesondere die niederländischen Städte lehnten „fremde“ burgundische Beamte ab, zumal Französisch als Verwaltungssprache durchgesetzt wurde, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung dort niederländische Dialekte sprach.

Ein wichtiges Integrationsinstrument war die Hofordnung und Symbolik der Burgunder. Die Herzöge entwickelten ein prachtvolles Hofzeremoniell (aufwändige Feste, Prozessionen, Rituale) und gründeten 1430 den Orden vom Goldenen Vlies, einen exklusiven Ritterorden. Dieser Orden band den Hochadel aller burgundischen Landesteile eng an die Dynastie und propagierte den gemeinsamen burgundischen Rittergeist. Die reiche Hofkultur diente explizit dazu, die Einheit der verschiedenen Lande im Bewusstsein zu verankern und die herzogliche Herrschaft zu legitimieren. Eine Zentralisierung des Staates scheiterte jedoch letztendlich an dem Widerstand der selbstbewussten Städte und Stände in den burgundischen Niederlanden. 1477 wurde diesen von Maria von Burgund das Große Privileg gewährt.

Nach 1477 kam Burgund unter die französische Krone. Die französischen Könige gewährten dem eingezogenen Herzogtum zunächst einige Sonderrechte, um die Burgunder nicht zu entfremden: Ludwig XI. bestätigte etwa die Weiterexistenz eines eigenen Gerichtshofes von Burgund mit Sitz in Dijon, dessen Urteile in vielen Fällen endgültig waren (keine Berufung nach Paris). Ein königlicher Statthalter (Gouverneur des Herzogtums Burgund) residierte in Dijon und vertrat den König. Das Herzogtum Burgund war damit de facto eine französische Provinz, behielt aber bis zur Revolution eigene ständische Traditionen (die Generalstände von Burgund traten weiterhin zusammen). Erst 1789/90 wurden diese Institutionen aufgelöst und Burgund vollständig in die zentralistische Verwaltungsstruktur (Départements) integriert.

Bevölkerung

Das Bevölkerung des burgundischen Herzogtums und seiner Nebenlande war vielgestaltig und multiethnisch geprägt. In den burgundischen Kernlanden im östlichen Frankreich (Bourgogne) sprach die Bevölkerung überwiegend französisch (bzw. frankoprovenzalische Dialekte), während in den nördlichen Landesteilen (Flandern, Brabant, Holland) niederländische Mundarten vorherrschten; in den Ardennen- und Mosel-Gebieten auch deutsch-lothringische Dialekte. Die Herzöge setzten zwar Französisch als Hof- und Verwaltungssprache durch, doch blieb die kulturelle und sprachliche Vielfalt bestehen. Insgesamt zählte der gesamte burgundische Herrschaftsraum im 15. Jahrhundert rund 3 Millionen Einwohner. Davon lebten etwa 500.000 im eigentlichen Herzogtum Burgund und ca. 2,3 Millionen in den reichen Niederlanden und nördlichen Grafschaften. In diesen wohlhabenden Nordgebieten war die Urbanisierung schon weit vorangeschritten, während der Süden ländlich geprägt blieb.

Sozial war die Bevölkerung Burgunds in Stände gegliedert: Eine kleine Schicht hoher Adeliger (Herzöge, Grafen, Rittergeschlechter) besaß den Großteil des Landes und stellte das Führungspersonal. Unter den Valois-Herzögen verschmolz die burgundische alteingesessene Aristokratie mit niederländischen und französischen Adelsfamilien zu einem hochrangigen Hofadel, der am Glanz des Hofes teilhatte. In den niederländischen Städten entstand ein Bürgertum, was mit den Herzögen kooperierte, aber auch seine Privilegien verteidigte. Die Mehrheit der Bevölkerung, die Bauernschaft, lebte auf dem Land. Die verheerende Pestpandemie und kriegerische Auseinandersetzungen (Hundertjähriger Krieg, innere Fehden) hatten auch in Burgund gravierende demographische Einschnitte zur Folge. Im 15. Jahrhundert erholten sich die Zahlen wieder, besonders in den wirtschaftlich prosperierenden Städten Hollands und Brabants.

Kultur und Religion

Das Herzogtum Burgund nahm in Kultur und Religion des mittelalterlichen Europa einen prominenten Platz ein. Bereits im Hochmittelalter strahlte Burgund als Land der Klöster: Die Benediktiner-Abtei Cluny (gegründet 910) leitete von burgundischem Boden aus die große klösterliche Reformbewegung des 10.–12. Jh. und begründete die „Cluniazensische“ Kunst und Liturgie. Im 12. Jh. folgte die Zisterzienserabtei Cîteaux (gegr. 1098), von der der Orden der Zisterzienser ausging. Auch sie hatte ihren Sitz in Burgund und prägte Architektur (schlichte romanische Klosterbauten) und Spiritualität in ganz Europa. Das Burgund des Mittelalters war ferner reich an Kirchen und Kathedralen in charakteristischen burgundisch-romanischen Baustilen (z. B. die Kathedrale von Autun oder die Abtei Vézelay). Die Region Burgund verfügt heute über 100 romanische Kirchenbauten, die höchste Dichte in Europa. In religiöser Hinsicht war Burgund fest im Katholizismus verwurzelt. Die burgundischen Herzöge traten als fromme Herrscher und als Beschützer der Kirche auf. Sie förderten Klöster und Kirchen großzügig und stifteten religiöse Bruderschaften. Herzog Philipp der Gute etwa gründete 1422 die Universität Dole in der Freigrafschaft (später nach Besançon verlegt) zur Ausbildung des Klerus. Zugleich instrumentalisierten die Herzöge Religion für ihre Politik: Nach dem Fall von Konstantinopel 1453 stilisierten sie sich zu Vorreitern eines neuen Kreuzzugs gegen die Osmanen, auch wenn sie nie einen solchen anführten.

In der Spätgotik und frühen Renaissance entfaltete sich am burgundischen Hof eine glanzvolle Hofkultur, die für ganz Europa stilbildend wurde. Die Herzöge von Burgund strebten danach, an Pracht und Mäzenatentum die Könige zu übertreffen. Sie umgaben sich mit renommierten Künstlern, Musikern und Gelehrten aus ihren Ländern und darüber hinaus. Herzog Philipp der Kühne ließ ab 1383 die Kartause Champmol bei Dijon errichten – ein Kartäuserkloster als dynastische Grablege. Für dessen Ausstattung engagierte er den Bildhauer Claus Sluter: Sein berühmter Moses-Brunnen und die prächtigen Marmor-Grabmäler Philipps des Kühnen und Johanns Ohnefurcht zeugen von der herausragenden burgundischen Bildhauerkunst. Am Hofe Philipps des Guten wirkte der Maler Jan van Eyck, der als Hofmaler Porträts und Tafelbilder schuf. Ebenso förderte der Herzog flämische Tafelmaler wie Rogier van der Weyden und Hugo van der Goes, die in Städten wie Brügge, Gent und Brüssel aktiv waren. Die flämisch-burgundische Malerschule des 15. Jh. (mit van Eyck, van der Weyden, Hans Memling u. a.) führte die Ölmalerei zu hoher Blüte und beeinflusste die Kunst in Frankreich, Italien und Spanien nachhaltig. Auch die Buchkunst prosperierte: Burgundische Werkstätten stellten illuminierte Handschriften von höchster Qualität her (etwa die prächtigen Stundenbücher für Herzog Johann von Berry, einen Verwandten der Burgunder). In der Musik begründete die „Burgundische Schule“ (mit Komponisten wie Guillaume Dufay und Gilles Binchois) die franko-flämische Vokalmusik. Der burgundische Hof zog Dichter, Chronisten und Denker an: So verfasste Jean Froissart seine Chroniken teilweise am burgundischen Hof, und Dichter wie Christine de Pizan verkehrten in burgundischen Kreisen.

Diese reiche Hofkultur diente nicht nur ästhetischen Zwecken, sondern hatte auch eine politische Funktion. Durch Prunkentfaltung, Feste und Turniere stellte der Hof Burgund seine Macht dar. Berühmt waren die üppigen Bankette der Herzöge – das sprichwörtliche „Leben wie ein Burgunder“ stand für kulinarischen Genuss und Luxus. Ein herausragendes Ereignis war das „Bankett des Fasans“ 1454 in Lille, bei dem Philipp der Gute mit spektakulären Inszenierungen (mechanische Tier-Attrappen, Allegorien) die versammelten Ritter auf einen Kreuzzug vorbereiten wollte. Generell förderten die Burgunderherzöge einen ritterlichen Habitus: Der Orden vom Goldenen Vlies verband Festkultur mit politischer Elitebildung, indem seine Ritter zu Tugend, Frömmigkeit und Treue verpflichtet wurden. Kleidung, höfische Sitten und Kunst setzten Trends, die an anderen Fürstenhöfen nachgeahmt wurden. Kunstvoll arrangierte Turniere, Jagdgesellschaften und Musikdarbietungen gehörten zum Alltag der höfischen Elite. All dies begründete den Mythos Burgund als Inbegriff spätmittelalterlicher Hochkultur.

Wirtschaft

Das französische Kernland des Herzogtums blieb größtenteils agrarisch geprägt, mit u. a. dem Anbau von Wein (Burgunderwein), während sich Handwerk und Tuchproduktion in Städten wie Dijon entwickelten. Daneben gab es in Burgund Salzgewinnung (Salinen von Salins-les-Bains in der Freigrafschaft). Der wahre Motor der burgundischen Wirtschaft lag jedoch in den Niederlanden, insbesondere in Flandern und Brabant. Diese nördlichen Provinzen galten als eine der wohlhabendsten Regionen Europas. Seit dem 14. Jh. erlebte Flandern einen beispiellosen Aufschwung der Tuchproduktion: Städte wie Gent und Ypern waren berühmt für ihre Wolltuch-Manufakturen, die englische Wolle veredelten und in ganz Europa absetzten. Die Stadt Brügge wurde im 14./15. Jh. zum Drehkreuz des europäischen Handels und Finanzwesens. Dort entstand bereits im 13. Jh. mit dem Haus Ter Beurze eine Art früher Börse oder Wechselstube, in der Händler aus ganz Europa Finanzgeschäfte abschlossen. Tatsächlich leitet sich das Wort „Börse“ von diesem Gasthaus der Familie Van der Beurze in Brügge ab. Moderne Historiker bezeichnen Brügge daher gerne als „Wiege des Kapitalismus in Westeuropa“. Der belgische Historiker Bart Van Loo bezeichnete Flandern als das „Silicon Valley des Mittelalters“, da dort Innovationen in Textilproduktion, Buchführung und Fernhandel entstanden.

Die Herzöge förderten gezielt die Städte als Wirtschaftszentren, gewährten ihnen Freiheiten und schützten ihre Handelsrouten. Sie schufen ein weitläufiges Handelsnetz von der Nordsee bis zum Mittelmeer. Über die Flüsse Rhein, Maas und Schelde waren die niederländischen Städte mit dem Reich verbunden; über Rhône und Saône bestanden Verbindungen nach Lyon und Italien. Zollprivilegien erleichterten den Warentransport innerhalb der burgundischen Territorien. Im Gegenzug nutzten sie die Steuereinnahmen der reichen Städte und die Kontrolle wichtiger Handelsrouten zur Finanzierung ihrer prächtigen Hofhaltung. Herzog Philipp ließ Goldmünzen prägen (den „Gulden von Burgund“), um die finanzielle Autonomie von Frankreich zu demonstrieren. Insgesamt gehörte Burgund im 15. Jahrhundert zu den wohlhabendsten Regionen Europas.

Militär

Die Herzöge von Burgund zählten im 14. und 15. Jahrhundert zu den militärisch mächtigsten Fürsten Europas und verfügten über eine der modernsten und schlagkräftigsten Armeen ihrer Zeit. Ihre Streitkräfte bestanden anfangs aus den traditionellen feudalen Kontingenten: Dem burgundischen Adel oblag es, im Kriegsfall Ritter und Fußknechte zu stellen. Daneben bedienten sich die Herzöge früh moderner Elemente wie Söldnertruppen und Feuerwaffen. Burgund war in zahlreiche Konflikte des Spätmittelalters involviert. Im Hundertjährigen Krieg kämpften burgundische Truppen zunächst auf französischer, später auf englischer Seite. 1415 schlug ein burgundisches Kontingent unter Philipp dem Guten an der Seite der Engländer in der Schlacht von Azincourt auf; ab 1420 verbündete sich Burgund mit England (Vertrag von Troyes). Nach der Ermordung Johanns Ohnefurcht 1419 durch Gefolgsleute des Dauphins eskalierte die Fehde mit Frankreich. Burgundische Soldaten belagerten 1429 Orléans und waren an zahlreichen Gefechten in Nordfrankreich beteiligt. Erst 1435 wechselte Philipp der Gute die Seite und schloss Frieden mit Frankreich (Vertrag von Arras); fortan kämpften burgundische Kontingente wieder gegen England. 1453 halfen sie mit, die Engländer aus Guyenne zu vertreiben. Der burgundische Militärbeitrag trug so mit zum französischen Sieg im Hundertjährigen Krieg bei. Unter dem ehrgeizigen Eroberer Karl dem Kühnen wurde die burgundische Armee zu einer der ersten „modernen“ Heere Westeuropas, bestehend hauptsächlich aus Söldnern.

Karl der Kühn unterhielt ein Heer von Ordonanzkompanien mit insgesamt 18.000 Mann. Im Kampf erwies sich allerdings, dass neue Taktiken der Burgunder auf ebenso neue Gegner stießen. In den Burgunderkriegen (1474–77) traf Karls gut ausgerüstetes, aber schwerfälliges Ritterheer auf die beweglichen Schweizer Fußtruppen, die mit Pikenträgern und Hellebardieren operierten. Die Folge waren für Burgund katastrophale Niederlagen: 1476 geriet Karls stolzes Heer in der Schlacht bei Grandson in Panik und musste riesige Mengen an Kriegsgerät zurücklassen; wenige Monate später wurde es bei Murten (Morat) nahezu aufgerieben, bis zu 10.000 seiner Soldaten fanden den Tod. Schließlich fand Karl der Kühne 1477 bei Nancy im Kampf gegen die Lothringer und Schweizer den Tod, was das Ende der burgundischen Eigenständigkeit einläutete.

Rezeption und Erbe

Das Erbe des Herzogtums Burgund wirkt vielfältig in der europäischen Geschichte nach. Staatspolitisch hatte Burgund die Idee eines dritten Machtblocks zwischen Frankreich und dem Reich verkörpert. Auch nach seinem Ende blieb das burgundische Erbe Gegenstand der Rivalität der Großmächte: Die Habsburger Kaiser sahen sich als Nachfolger der Burgunderherzöge und führten den Titel „Herzog von Burgund“ in ihrer Titulatur weiter. Kaiser Karl V., selbst Enkel Marias von Burgund und Maximilians, vereinte Anfang des 16. Jahrhunderts ein riesiges Herrschaftsgebiet, wobei das burgundische Erbe eine wichtige Rolle beim Aufstieg der Habsburger einnahm und auch in der Habsburgisch-französischen Rivalität eine große Rolle spielte. Schließlich wurde der „burgundische Zwischenraum“ zwischen Frankreich und Deutschland politisch aufgeteilt, doch das Konzept einer burgundischen Ordnung lebte in historischen Debatten fort – etwa wenn im 20. Jahrhundert über eine mittelalterliche Dreiteilung Westeuropas (romanisch – germanisch – burgundisch) spekuliert wurde.

Kulturell hinterließ Burgund ein reiches Vermächtnis und verband die spätmittelalterliche Hochkultur mit einer Blüte der nordeuropäischen Renaissance. Die höfische Kultur beeinflussten viele Nachfolgestaaten. So übernahmen die Habsburger am Wiener Hof und die spanischen Könige Elemente des burgundischen Hofzeremoniells und Mäzenatentums. Der spanische Hoforden vom Goldenen Vlies besteht bis heute als einer der bedeutendsten Adelsorden Europas – eine direkte burgundische Hinterlassenschaft. Die flämischen Meister, die unter Burgund aufblühten, legten den Grundstein für die Kunsttraditionen der Niederlande und Belgiens. In den Weinbergen und Klöstern Burgunds wurden Qualitätsstandards etabliert, die die Weinkultur Frankreichs dauerhaft prägten. Selbst in der französischen Küche und Lebensart ist der Begriff „burgundisch“ (franz. bourguignon) zum Synonym für opulenten Genuss geworden. Auch in den dezentralen repräsentativen politischen Strukturen sah der belgische Historiker Bart Van Loo später eine der Wurzeln des späteren vereinigten Europas. So wurde das ehemals burgundische Brüssel, das schon im Mittelalter Einflüsse aus verschiedenen Teilen Europas aufnahm, später eine der Hauptstädte der Europäischen Union. Die 2016 geschaffene französische Region Bourgogne-Franche-Comté vereint heute wieder die einstigen Kerngebiete des alten Herzogtums.

In der Geschichtsschreibung ist Burgund ausführlich rezipiert worden. Im 19. Jahrhundert wurde Burgund teilweise romantisch verklärten: Historiker wie Brugière de Barante schilderten die burgundische Epoche als farbenprächtigen Höhepunkt des Rittertums. Gleichzeitig deuteten französische Nationalhistoriker die Burgunderherzöge oft kritisch als abtrünnige Vasallen, die die Einheit der Krone gefährdeten. In Belgien dagegen gilt die Burgunderzeit positiv als Vorläufer einer gemeinsamen nationalen Geschichte der Niederländer und Belgier – man spricht von einem burgundischen „Goldenen Zeitalter“. Der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga prägte 1919 mit Herbst des Mittelalters das eindrückliche Bild Burgunds als einer Welt im glanzvollen Verfall: „die ganze Geschichte dieser Familie […] ist ein Epos heroischen Hochmuts. Burgund, dunkel von Macht wie von Wein… Hier blühte die Malerei, Bildhauerei und Musik, während die brutalste Barbarei unter dem Adel um sich griff“.

Moderne Historiker haben dieses Bild nuanciert: Burgund wird heute als Vorläufer der Neuzeit gesehen, als Staatengebilde im Übergang vom Feudalismus zum frühmodernen Territorialstaat. In der Forschung wird kontrovers diskutiert, ob man vom „burgundischen Staat“ sprechen kann; einige Autoren wie Bertrand Schnerb bejahen dies und sehen in Burgund den Prototyp eines frühneuzeitlichen Staatswesens, jedoch keinen modernen Staat, andere betonen den Fragmentcharakter der Personalunion und die schwachen Bindungen der einzelnen Landesteile aneinander (besonders zwischen dem Süden und Norden). Ebenfalls umstritten ist, inwieweit sich die Burgunder selbst als unabhängig oder als Teil des französischen Gesamtstaates ansahen.

Siehe auch

Commons: Herzogtum Burgund – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Liste der Herrscher von Burgund

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