Jüdische Philosophie

Der Begriff jüdische Philosophie (hebräisch פילוסופיה יהודית (pilosofia ha-jehudit), arabisch الفلسفة اليهودية, jiddisch ייִדישע פֿילאָסאָפֿיע) bezeichnet die Verbindung philosophischer Studien mit Inhalten der jüdisch-religiösen Traditionen. Während das Konzept selbst kontrovers ist, und über die prinzipielle Vereinbarkeit religiöser und philosophischer Inhalte debattiert wird, wird der Beginn jüdischer Philosophie ideengeschichtlich in der Regel mit Philon von Alexandria angesetzt.

Der Begriff der jüdischen Philosophie

Der Begriff „jüdische Philosophie“ wurde 1818 von Leopold Zunz geprägt. Er umfasst zwei Perspektiven. Jüdisch kann einerseits eingegrenzt werden auf Denker, die sich selbst als Juden verstehen und über philosophische Fragen nachdenken. Die Konfession der Philosophen spielt bei Bestimmung des Attributs jüdisch keine Rolle, siehe etwa die Philosophie der symbolischen Formen von Ernst Cassirer oder die Phänomenologie von Edmund Husserl. Zweitens bezieht sich jüdisch auf ein Denken, das dem Bereich der jüdischen Kultur entstammt und in Zusammenhang mit der jüdischen Religion steht. Diese Perspektive wird ausdrücklich im Titel des Spätwerks von Hermann Cohen Die Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums charakterisiert. Geht man von der zweiten Perspektive aus, stellt sich die Frage, ob Jüdische Philosophie partikulär ist, also nur einen Ausschnitt aus den möglichen sinnvollen philosophischen Antworten erfasst, oder ob ihre Vertreter trotz des Bezugs zum Judentum einen universalen Anspruch erheben (können). Allerdings gibt es philosophische Teilgebiete, in denen Jüdische Philosophen den Anspruch auf Universalität erheben, so etwa Cohen oder Emmanuel Levinas in der Begründung der Moralphilosophie sowie Martin Buber und Franz Rosenzweig mit dem Konzept der Dialogphilosophie. Beide grenzen sich z. B. in dieser Hinsicht deutlich von Immanuel Kant ab.

Historisch betrachtet, gibt es keine eigenständige Jüdische Philosophie. Vielmehr haben jüdische Philosophen ihre je eigene Kultur daraufhin untersucht, inwieweit diese philosophischen Argumenten standhält oder mit diesen in Übereinstimmung zu bringen ist.

„Das jüdische Volk ist nicht aus eigener Kraft zu philosophischem Denken gelangt. Es hat die Philosophie von außen her empfangen, und die Geschichte der jüdischen Philosophie ist eine Geschichte von Rezeptionen fremden Gedankenguts, das dann freilich unter eigenen und neuen Gesichtspunkten verarbeitet wird.“, so Julius Guttmann in seinem Standardwerk „Philosophie des Judentums“.

Theologische Überlegungen und Dogmen sind nicht Gegenstand der jüdischen Philosophie, wohl aber klassische Fragen nach der Existenz Gottes (Gottesbeweise), nach der Entstehung der Welt, nach der Theodizee, die Frage der Willensfreiheit, ethische Überlegungen wie das Liebesgebot (Goldene Regel) und das Mitleid. Die Frage, ob sich Jerusalem (Religion) und Athen (Vernunft, Ratio) miteinander vereinbaren lassen, zieht sich von Anfang an durch die jüdische Philosophie. Ist die Religion mit vernünftigen philosophischen Argumenten zu rechtfertigen oder besteht zwischen beiden eine unauflösbare Entgegensetzung? Das Bild Jerusalem versus Athen, das auch Jürgen Habermas verwendet wurde ausdrücklich von Leo Strauss und von Leo Schestow verwendet.

„Die jüdische Philosophie ist seit der Antike ihrem Wesen nach Philosophie des Judentums, wenn sie auch im Mittelalter, das auf religiöser Grundlage Ansätze zu einer jüdischen Gesamtkultur erzeugt, zeitweise über ihr religiöses Zentrum hinausgreift. Ihre Selbständigkeit und Eigenart liegt ganz in dieser religiösen Richtung, mag sie nun das überkommene Gedankengut zur Begründung des religiösen Ideengehaltes des Judentums verwenden oder die Gegensätze wissenschaftlicher und religiöser Wahrheit auszugleichen suchen.“

Eindeutig ist die Zurechnung der Dialogphilosophie von Hermann Cohen, Franz Rosenzweig, Martin Buber und Hermann Levin Goldschmidt bis hin zu Emmanuel Levinas zur jüdischen Philosophie des 20. Jahrhunderts. Zu den klassischen Themen der jüdischen Philosophie zählt auch spätestens seit dem 19. Jahrhundert die Auseinandersetzung mit der sog. Judenfrage und dem Antisemitismus, die nach dem Holocaust besonders virulent geworden ist. Hierhin gehört auch der Berliner Antisemitismusstreit von 1880, an dem sich Hermann Cohen intensiv beteiligte. Inwieweit auch mystische Strömungen (Kabbala, Chassidismus, Chabad) und andere intellektuelle Positionen (z. B. Karäer) zu berücksichtigen sind, ist ebenso umstritten wie die Stellung anderer jüdischer Denker aus sozialwissenschaftlichen Fächern oder Denkern aus anderen Bereichen der Jüdischen Geisteswelt (Soziologen, Historiker, Philologen, Schriftsteller, Psychologen u. a.) und Vertreter der Wissenschaft des Judentums im Bereich der Philosophie.

Reiner Wimmer etwa bezeichnet die Philosophie von Hannah Arendt, Rosa Luxemburg, Simone Weil und Edith Stein als jüdisch, auch wenn diese ihre Positionen nicht aus der Tora heraus begründeten, und diese Namen in Schriften zur jüdischen Philosophie nur selten genannt werden. Ähnliches gilt für die Autoren der Kritischen Theorie wie Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse oder Walter Benjamin sowie Seyla Benhabib und inwieweit deren Denken einen spezifisch jüdischen Charakter hat. Am ehesten gilt dies noch für Benjamin, der zeit seines Lebens in enger Verbindung zu Gershom Sholem stand. Eher nicht als Vertreter der jüdischen Philosophie, sondern als eigenständige Philosophen genannt werden Henri Bergson (Lebensphilosophie) Ludwig Wittgenstein, Saul Kripke, Karl Popper, Martha Nussbaum, die zum Judentum konvertiert war und sich zum Reformjudentum bekennt, oder Hilary Putnam, obwohl letzterer sich in seinem Spätwerk explizit mit der jüdischen Philosophie auseinandersetzte. Dies gilt auch für Edmund Husserl (1886 konvertiert zum Protestantismus), obwohl dieser in seiner Phänomenologie mit den Kategorien der Intersubjektivität und der Lebenswelt Aspekte des jüdischen Denkens in die Philosophie einbrachte. Fraglich ist auch, ob etwa Karl Löwith, der christlich getauft war, jedoch in der NS-Zeit als jüdisch verfolgt wurde, der jüdischen Philosophie zuzurechnen ist, auch wenn seine Habilitationsschrift „Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen“ eine deutliche Nähe zu Martin Bubers Dialogphilosophie aufweist. Dagegen werden so unterschiedliche Denker wie Leo Strauß, Hans Jonas und Vilém Flusser in aller Regel als moderne Vertreter der jüdischen Philosophie betrachtet.

Geschichte und bedeutende Strömungen

Philon von Alexandria

Philon von Alexandria (20 v. Chr. bis 40 n. Chr.) war ein hellenistischer jüdischer Philosoph aus Alexandria, Ägypten. Philon bezog in seine Philosophie sowohl die Weisheit des antiken Griechenland als auch das Judentum mit ein, und er versuchte sie zu verschmelzen und zu harmonisieren durch die Kunst der Allegorie, wobei er bestehende jüdischen Exegese (Schriftauslegung) ebenso weiterentwickelte wie die der Stoiker.

Philon machte seine Philosophie zum Instrument der Verteidigung und Rechtfertigung der jüdischen Religionslehren. Diese religiösen Wahrheiten betrachtete er als göttlich festgelegt, jedoch erst von Menschen zu finden, nicht einfach identisch mit der schon bestehenden Tradition, sondern durch eine – vor allem allegorische (nicht wörtliche/buchstäbliche) – Auslegung der heiligen (hebräischen) Schriften. Die Philosophie sollte bei dieser Auslegung als Hilfsmittel dienen. Mit diesem Ziel vor Augen verwarf Philon diejenigen griechischen Lehren, die sich nicht mit der jüdischen Religion harmonisieren ließen, z. B. die aristotelische Lehre von der Ewigkeit und Unvergänglichkeit der Welt.

In seiner Ethik knüpft er stark an Aristoteles und die Stoiker an. Er vertritt eine Tugendethik, mit Idealen wie „Leidenschaftslosigkeit“ (zum Beispiel weder von Zorn, noch von Begierde getrieben zu sein) und „allgemeiner Menschenliebe“.

Während Philon in den frühen christlichen Debatten rezipiert wurde, war er jüdischen Gelehrten bis zur Renaissance unbekannt.

Jüdische Mystik, Kabbala

Ein fundamentaler Unterschied zwischen den Kabbalisten und den Vertretern der Philosophie liegt in ihrer Einschätzung der Macht der menschlichen Vernunft: Kabbalisten verwerfen die Schlussfolgerungen der Vernunft und vertrauen stattdessen auf Tradition, Inspiration und Intuition. Im Gegensatz dazu halten Philosophen die Vernunft für die wichtigste Voraussetzung jeder Wahrnehmung und Erkenntnis. Der Status der Kabbala im Kontext jüdischer Philosophie ist strittig. So verwirft etwa der einflussreiche rationalistisch orientierte Philosophiehistoriker und Rabbiner Julius Guttmann in seinem Standardwerk Philosophie des Judentums (1933) die Idee, Kabbala als Philosophie aufzufassen.

Isaak ben Salomon Israeli

Isaak ben Salomon Israeli oder Jizchak ben Schlomo Jisraeli (ca. 840/850 – ca. 932) war ein berühmter Arzt und Philosoph. Er war der Begründer der neuplatonischen Strömung in der mittelalterlichen jüdischen Philosophie. Oft zitiert wurde seine Beschreibung der Philosophie als Selbsterkenntnis des Menschen hinsichtlich seiner geistigen und körperlichen Beschaffenheit. Isaak sah in der philosophischen Selbsterkenntnis die Basis für eine Erkenntnis der gesamten Weltwirklichkeit, die ebenfalls aus Geistigem und Materiellem zusammengesetzt sei. Sein Grundsatz, den Menschen als Erkenntnisgegenstand und zugleich als Erkenntnisprinzip aufzufassen, wurde für die Anthropologie der spätmittelalterlichen Scholastik wegweisend.

Saadia Gaon

Saadia Gaon (882–942) wird als einer der bedeutendsten frühen jüdischen Philosophen angesehen. Sein Werk Emunoth ve-Deoth hieß ursprünglich Kitab al-Amanat wal-l'tikadat, „Das Buch der Glaubensartikel und dogmatischen Lehren“. Es war die erste systematische Darlegung und philosophische Begründung der jüdischen Dogmen, erschien im Jahr 933 und wurde im 12. Jahrhundert von Jehuda ibn Tibbon ins Hebräische übersetzt.

In diesem Buch postuliert Saadia Gaon die Rationalität des jüdischen Glaubens, mit der Einschränkung, dass die Vernunft kapitulieren muss, wann immer sie in Widerspruch zur Tradition gerät. Das Dogma muss den Vorrang vor der Vernunft haben. So lehrt die Vernunft bei der Frage nach der Ewigkeit der Welt seit Aristoteles, dass die Welt ohne Anfang sei, dass sie nicht geschaffen worden sei; im Gegensatz dazu behauptet das jüdische Dogma eine Schöpfung aus dem Nichts. Seit der Zeit des Aristoteles hieß es, das logische Denken könne nur eine allgemeine Form der Unsterblichkeit beweisen, aber eine individuelle Unsterblichkeit könne es nicht geben. Die jüdische Dogmatik dagegen lehrte die Unsterblichkeit des Individuums. Deshalb muss nach Saadias Ansicht die Vernunft nachgeben.

In der Systematik seines Werks hielt sich Saadia streng an die Regeln der Mutaziliten (einer rationalistischen Glaubensrichtung des Islam, denen er teilweise auch seine Thesen und Argumente entnahm), wobei er meistens der mutazilitischen Schule des al-Jubbai folgte. Er hielt sich an den mutazilitischen Kalam, vor allem in dem Sinne, dass er in den ersten zwei Kapiteln die metaphysischen Fragen der Schöpfung (I) und der Einheit Gottes (II) diskutiert, während er in den folgenden Kapiteln die jüdische Theorie der Offenbarung (III) behandelt, sowie die Glaubenslehren, die auf der göttlichen Gerechtigkeit beruhen, inklusive Fragen des Gehorsams und Ungehorsams (IV), und auch Verdienst und Schuld (V). Eng verbunden mit diesen Kapiteln sind jene, die von der Seele und dem Tod handeln (VI), und von der Wiederauferstehung von den Toten (VII), die dem Autor zufolge einen Teil der Theorie von der messianischen Erlösung (VIII) bildet. Das Werk schließt mit einem Kapitel über die Belohnungen und Bestrafungen im jenseitigen Leben (IX).

Solomon ben Jehuda ibn Gabirol (Avicebron)

Solomon ibn Gabirol (1021–1070) war ein jüdischer Philosoph und Dichter in al-Andalus, Spanien. Bis ins 19. Jahrhundert war er in der christlichen Gelehrtenwelt als „Avicebron“ bzw. „Avencebrol“ bekannt. In der arabischen Sprache hieß er Abū Ayyūb Sulaimān ibn Yaḥyā ibn Ǧebīrūl. Man hielt ihn für einen islamischen oder christlichen Philosophen.

Ibn Gabirol war einer der Vertreter der neuplatonischen Strömung in der mittelalterlichen jüdischen Philosophie. In ibn Gabirols Werken ist Platon der einzige namentlich genannte Philosoph. Charakteristisch ist die Konzeption eines mittleren Reichs zwischen Gott und Welt, zwischen Gattung und Individuum. Aristoteles hatte bereits den Einwand gegen Platons Ideenlehre formuliert, dass ein vermittelndes Drittes zwischen Form und Materie fehle („Hylemorphismus“). Diese Verbindung zwischen Form (Ideen) und Materie, ist nach Philon der Logos; nach ibn Gabirol ist es der göttliche Wille.

Er wird zitiert bei Moses ibn Ezra und Abraham ibn Ezra. Stark beeinflusst hat er die christliche Scholastik. Spätmittelalterliche christliche Autoritäten wie Albertus Magnus und dessen Schüler Thomas von Aquin bezogen sich öfters mit Hochachtung auf ihn.

Sein klassisches philosophisches Hauptwerk Die Lebensquelle (arabisch Yanbuʾ al-ḥayya, hebräisch Sēfer Meqōr Ḥajjim) ist besonders unter dem lateinischen Titel Fons vitae bekannt. Es hatte starken Einfluss auf die christlich-lateinische Scholastik, ab der Mitte des 12. Jahrhunderts. Die Lebensquelle ist ein neuplatonischer Dialog zwischen einem Lehrer und seinem Schüler über die Natur der Schöpfung und wie ein Verständnis unserer menschlichen Natur uns helfen kann, zu wissen wie wir leben sollen (Sinn des Lebens).

Sein Buch über Ethik trägt in der hebräischen Übersetzung des arabischen Originals den Titel Sēfer Tiqqūn Middōt ha-Nefeš („Buch der Verbesserung der Seeleneigenschaften“). Die jüdische Rezeption war gering, seine philosophischen Lehren wurden von den jüdischen Zeitgenossen größtenteils ignoriert. Auch sein Einfluss auf spätere jüdische Denker war relativ gering. Am stärksten wurde er auf dem Gebiet der jüdischen Liturgie rezipiert, seine hebräische Lyrik, in arabischen Versmaßen verfasst, fand Eingang in Gebetbücher.

Karäische Philosophie

Die Karäer, eine jüdische Strömung, die die Lehren des rabbinischen Judentums ablehnt, entwickelten ihre eigene Form der Philosophie, eine jüdische Version des islamischen Kalam. Die frühen Karäer legten ihrer Philosophie den mutazilitischen Kalam zu Grunde; einige spätere Karäer, wie Aaron ben Elia (14. Jahrhundert) in seinem Buch Etz Hayyim („Baum des Lebens“), gingen zurück zu den Lehren des Aristoteles.

Bachja ibn Pakudas

Bachja ibn Pakuda lebte in Spanien in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts. Er verfasste das erste jüdische System der Ethik, geschrieben 1080 in Arabisch unter dem Titel Al Hidayah ila Faraid al-hulub, „Wegweiser zu den Pflichten der Herzen“, 1161–1180 von Judah ben Saul ibn Tibbon ins Hebräische übersetzt unter dem Titel Hovot ha-Levavot, „Pflichten der Herzen“.

Obwohl er häufig Saadia Gaons Werke zitierte, gehörte er nicht zur rationalistischen Schule der Mutaziliten, denen Saadia folgte, sondern wie sein jüngerer Zeitgenosse Solomon ibn Gabirol (1021–1070) war er ein Anhänger der neuplatonischen Mystik. Oft hielt er sich an die Methoden der arabischen Enzyklopädisten, die als „Brüder der Reinheit“ bekannt sind. Weil er zur kontemplativen Mystik und zur Askese neigte, entfernte Bahya aus seinem System alle Elemente, die seiner Ansicht nach den Monotheismus verschleiern oder mit dem jüdischen Gesetz in Konflikt geraten könnten. Er strebte ein religiöses System an, das gleichzeitig erhaben und rein und in vollkommener Übereinstimmung mit der Vernunft sei.

Jehuda ha-Levi

Der jüdische Dichterphilosoph Jehuda ha-Levi (12. Jahrhundert) argumentierte in seinem polemischen Buch Kuzari heftig gegen die Philosophie. Er wurde so zum jüdischen al-Ghazālī, dessen Destructio Philosophorum als Vorbild für den Kuzari gedient hatte.

Die menschliche Vernunft zählte für ihn nicht viel: Innere Erleuchtung, emotionale Vision war ihm alles. Im Kuzari diskutieren die Repräsentanten unterschiedlicher Religionen und Philosophien vor dem König der Chasaren über die Verdienste der von ihnen vertretenen Systeme – der Siegespreis wird am Ende dem Judentum verliehen.

Der Aufstieg des aristotelischen Denkens

Jehuda ha-Levi konnte die Verbreitung des aristotelischen Denkens unter den arabisch-schreibenden Juden nicht aufhalten. So wie die islamischen Philosophen Avicenna und Averroes entlehnten unter den jüdischen Denkern Abraham ibn Daud und Maimonides mehr und mehr der Philosophie von Aristoteles.

Rabbi Levi ben Gershon, auch bekannt als Gersonides oder der Ralbag (1288–1345) ist vor allem bekannt für sein Buch Milhamot HaShem (oder einfach Milhamot), „Kriege des Herrn“. Unter den Scholastikern war Gersonides vielleicht der fortgeschrittenste, er stellte die Vernunft über die Tradition. Milhamot HaShem ist nach dem Vorbild des Führers der Unschlüssigen von Maimonides gestaltet. Von einem philosophischen (vor allem averroistischen) Standpunkt wird hier der Synkretismus aus Aristotelismus und jüdischer Orthodoxie, wie er sich bei Maimonides findet, kritisiert.

Hasdai Crescas (1340–1410) ist der Autor des Buches Or Hashem („Licht des Herrn“). Crescas' erklärtes Ziel bestand darin, das Judentum von den Fesseln des Aristotelismus zu befreien, der seiner Ansicht nach durch die Einflüsse des Ibn Sina auf Maimonides und des Ibn Roshd auf Gersonides die Authentizität des jüdischen Glaubens zu verwässern drohte, weil er die Lehrinhalte des Judentums zu Surrogaten aristotelischer Begriffe reduzierte. Sein Buch Or Hashem besteht aus vier Teilen (ma'amar), untergliedert in kelalim und Kapitel (perakim): Der erste behandelt die Grundlage allen Glaubens – die Existenz Gottes; das zweite die grundlegenden Lehrsätze des Glaubens; das dritte weitere Lehrsätze, die für alle Anhänger des Judentums bindend sind; das vierte Lehrsätze die zwar traditionell, aber nicht bindend sind und deshalb offen für philosophische Überlegung.

Josef Albo war ein spanischer Rabbi und Theologe des 15. Jahrhunderts, bekannt vor allem als Autor des Buches über die jüdischen Glaubensprinzipien (Seher ha-Ikkarim). Albo beschränkte die Zahl der fundamentalen jüdischen Glaubensprinzipien auf drei: 1) Der Glaube an die Existenz Gottes; 2) an die Offenbarung; 3) an die göttliche Gerechtigkeit, verbunden mit der Idee der Unsterblichkeit. Albo kritisiert die Ansichten seiner Vorgänger, aber er will sie damit keinesfalls der Ketzerei beschuldigen. Eine bemerkenswerte Breite an Interpretationsmöglichkeiten ist erlaubt, so sehr, dass es nach Albos Theorien schwierig wäre, die Orthodoxie sogar der liberalsten Juden anzufechten. Albo verwirft die These, dass die Schöpfung ex nihilo eine wesentliche Implikation des Glaubens an Gott sei. Er kritisiert freimütig Maimonides’ dreizehn Glaubensprinzipien und Crescas’ sechs Prinzipien.

Maimonides

Rabbi Moshe ben Maimon (1138–1204), allgemein bekannt unter der griechischen Namensform Maimonides, war ein jüdischer Rabbiner, Arzt und Philosoph.

Maimonides lehrte, dass Gott nicht mit positiven Attributen bezeichnet werden könne (siehe dazu auch die Negative Theologie). Die Zahl der Attribute Gottes würde die Einheit Gottes beeinträchtigen. Um die Doktrin der Einheit Gottes aufrechterhalten zu können, müssen alle anthropomorphen Attribute, wie Existenz, Leben, Macht, Wille, Wissen – die verbreiteten positiven Attribute Gottes im Kalâm – vermieden werden, wenn die Rede von Gott ist. Zwischen den Attributen Gottes und den Attributen der Menschen gebe es keine Ähnlichkeit, außer der des Begriffs (Homonymie), es gebe keine Entsprechung im Wesen (Führer der Unschlüssigen, I 35, 56). Die negativen Attribute implizieren, dass nichts über das wahre Wesen Gottes gewusst werden könne.

Maimonides formulierte dreizehn Glaubensartikel, von denen er sagte, alle Juden seien verpflichtet, daran zu glauben. Die ersten fünf behandeln das Wissen vom Schöpfergott, die folgenden vier behandeln Prophezeiung und den göttlichen Ursprung der Tora, und die letzten vier behandeln Fragen der Belohnung, Bestrafung und Erlösung im Jenseits.

Das Prinzip, das Maimonides’ ganze philosophische Aktivität beeinflusste, entsprach dem fundamentalen Prinzip der Scholastik: Es kann keinen Widerspruch geben zwischen den Wahrheiten, die Gott offenbart hat, und den Entdeckungen des menschlichen Geistes in Wissenschaft und Philosophie. Unter Wissenschaft und Philosophie verstand er Wissenschaft und Philosophie des Aristoteles. In einigen wichtigen Punkten wich er jedoch auch von den aristotelischen Lehren ab. So meinte er zum Beispiel, die Welt sei nicht ewig, wie Aristoteles meinte, sondern aus dem Nichts erschaffen, wie es in der Bibel steht. Auch verwarf er die Lehre des Aristoteles, die Fürsorge Gottes erstrecke sich nur auf die Menschheit und nicht auf das einzelne Individuum. Während Maimonides in diesen wichtigen Punkten Ansichten späterer Scholastiker vorwegnahm und beeinflusste, war er durch seine Bewunderung für die neuplatonischen Kommentatoren und durch seine Bindung an die jüdische Tradition geneigt, Ansichten zu vertreten, die für christliche Scholastiker nicht annehmbar waren.

Renaissance-Philosophen

In der Renaissance entwickelte sich ein neuer Zweig der jüdischen Philosophie, der sich auf die Lehren des Tora-Mystizismus stützte, der wiederum aus den esoterischen Lehren des Sohar und den Lehren des Rabbi Isaak Luria (1534–1572) entstanden war. Diese Philosophie findet sich vor allem im umfangreichen Werk des Rabbi Judah Löw (ca. 1520–1609), auch bekannt als Maharal von Prag.

  1. Joseph Albo (1380–1444)
  2. Joseph ben Schem Tow (ca. 1400– ca. 1480)
  3. Abraham Farissol (1451–ca. 1525)
  4. Jehuda ben Isaak Abravanel (1460–1521)
  5. Obadja ben Jacob Sforno (1474–1550)
  6. Josef Karo (1488–1575) Kabbalist, verfasste den Schulchan Aruch
  7. Moses Isserles (1520–1572)
  8. Azariah Figo (1579–1547)
  9. Joseph Salomo Delmedigo (1591–1655)

Aufklärerische und nach-aufklärerische jüdische Philosophen

  1. Baruch Spinoza (1632–1677) gehört zu den früh-aufklärerischen jüdischen Philosophen. Er löste sich von den rabbinischen Lehren des Judentums und entwickelte eine eigenständige rationalistische Philosophie. Er gilt als einer der Begründer der modernen Bibel- und Religionskritik. Seinen Ausführungen über Ethik wurden sowohl Tendenzen des Pantheismus als auch des Atheismus vorgeworfen.
  2. Moses Mendelssohn (1729–1786) war ein einflussreicher Philosoph, der in Berlin wirkte und als Wegbereiter der Haskala gilt. Er unterschied zwischen Staat und Religion, die streng zu trennen sind und unterschiedliche Aufgaben erfüllen. Für beide gilt eine „Toleranzpflicht“. Der religiöse Glaube ist individuell und darf keinerlei Zwang unterliegen. Das Judentum betrachtete er als mosaische Gesetzesreligion, deren Beachtung die ewige Glückseligkeit bringe.
  3. Markus Herz (1747–1803) war Schüler Immanuel Kants, mit dem er einen ausführlichen Briefwechsel führte. Er erhielt durch König Friedrich Wilhelm II. den Titel eines Professors der Philosophie auf Lebenszeit.
  4. Salomon Maimon (1753–1800) setzte sich kritisch mit Kants Kritik der reinen Vernunft auseinander. Kant reagierte auf die Ansichten Maimons positiv.
  5. Lazarus Bendavid (1762–1832) war ein preußisch-jüdischer Mathematiker, Philosoph und Pädagoge. Als früher Kantianer versuchte er dessen Lehre zu popularisieren. Ab 1806 war er Direktor der Jüdischen Freischule Berlin
  6. Saul Ascher (1767–1822) Kritiker des nationalistischen „Deutschtums“, trat für einen „Staatshumanismus“ ein und forderte eine aufgeklärte, religiös-politische Reform des Judentums und die bedingungslose Gleichberechtigung der Juden.
  7. Nachman Krochmal (1785–1840) versuchte ausgehend vom deutschen Idealismus eine Religions- und Geschichtsphilosophie in Anlehnung an Schelling und Hegel zu entwickeln.
  8. Salomon Ludwig Steinheim (1789–1866) war ein Arzt und kantianisch geprägter Religionsphilosoph, der sich für eine Selbstbegrenzung der Vernunft einsetzte. An Moses Mendelssohn kritisierte er, dass dieser die Offenbarung Gottes in den biblischen Schriften nicht beachte. Die Trennung von Staat und Religion sei hingegen das große Verdienst Mendelssohns. Der rabbinischen Orthodoxie warf er vor, sie habe den Gehalt der Offenbarungslehre durch „heidnisch philosophische Vermischung verfälscht und verdorben“.
  9. Salomon Formstecher (1808–1889) war ein Reformrabbiner in Offenbach. Mit der 1841 veröffentlichten Schrift „Die Religion des Geistes“ gilt er als Begründer einer modernen Geschichtsschreibung des Judentums.
  10. Abraham Geiger (1810–1874) gilt als Begründer des Reformjudentums in Deutschland. Er setzte sich für den Gebrauch des Deutschen in der jüdischen Liturgie ein und empfand die meisten jüdischen Speisegesetze als unangemessen. Andererseits sprach er sich dagegen aus, den Schabbat auf den Sonntag zu verlegen.
  11. Moses Hess (1812–1875) gehörte zu den Frühsozialisten und war ein Vordenker des Zionismus. Juden sind und bleiben eine Nation, die durch ihre „rassischen“ Eigenheiten gekennzeichnet ist. Hess verteidigte Spinoza. In „Rom und Jerusalem“ schrieb er: „Die Lehre Spinoza’s, das Produkt des jüdischen Genius und der modernen Wissenschaft, steht nicht im Widerspruch mit der jüdischen Einheitslehre, sondern höchstens mit der rationalistischen und supernaturalistischen Auffassung derselben.“ Hess kritisierte das reformerische Judentum eines Samuel Hirsch. Stattdessen forderte er, sich auf die geistigen Wurzeln der modernen Kultur zu besinnen, die er im Judentum sah: „Aus dem Judenthum ist unsre ganze heutige humanitäre Lebensanschauung hervorgewachsen. Es ist nichts in der christlichen Sittenlehre, nichts in der scholastischen Philosophie des Mittelalters, nichts in der modernen Philanthropie und, wenn ich die letzte Manifestation des Judenthums, den Spinozismus, hinzunehme, auch nichts in der modernen Philosophie, was nicht im Judenthum wurzelte.“ Der Wert der jüdischen Orthodoxie besteht darin, den Verlust der jüdischen Identität in der Diaspora zu verhindern.
  12. Samuel Hirsch (1815–1889) war ein bedeutender Vertreter des Reformjudentums in Deutschland und den USA. 1856 erschien sein Systematischer Katechismus der israelitischen Religion. Nachdem er in die USA ausgewandert war, wurde er Vorsitzender der ersten Konferenz der US-amerikanischen (Reform-)Rabbiner (Philadelphia 1869). In dieser Funktion hatte er großen Anteil an der Ausformulierung der Grundsätze des Reformjudentums.

Moderne jüdische Philosophie

Ein Haupttrend der modernen jüdischen Philosophie war der Versuch, eine Theorie des Judentums durch den Existenzialismus zu entwickeln. Auf diesem Gebiet trat vor allem Franz Rosenzweig hervor. Während der Recherchen für seine Dissertation über Georg Wilhelm Friedrich Hegel wandte sich Rosenzweig gegen Hegels Idealismus und favorisierte einen existenzialistischen Ansatz. Zeitweise erwog Rosenzweig eine Konversion zum Christentum, aber 1913 bekannte er sich zur jüdischen Philosophie. Er studierte bei Hermann Cohen. Rosenzweigs Hauptwerk, Der Stern der Erlösung, ist Ausdruck seiner neuen Philosophie, in der er die Beziehung zwischen Gott, Menschheit und Welt und ihren Zusammenhang durch Schöpfung, Offenbarung und Erlösung darstellt. Als spätere jüdische Existenzialisten sind die konservativen Rabbiner Neil Gillman und Elliot N. Dorff zu nennen.

Die vielleicht umstrittenste Form der jüdischen Philosophie, die sich im frühen 20. Jahrhundert entwickelte, war der religiöse Naturalismus des Rabbiners Mordechai Kaplan. Seine Theologie war eine Variante der Philosophie von John Dewey. Deweys Naturalismus kombinierte atheistische Überzeugungen mit religiöser Terminologie, um eine religiös zufriedenstellende Philosophie für diejenigen zu konstruieren, die den Glauben an die traditionelle Religion verloren haben. In Übereinstimmung mit den klassischen jüdischen Denkern des Mittelalters lehrte Kaplan, dass Gott keine Person sei und alle anthropomorphen Beschreibungen im besten Fall unzureichende Metaphern. Kaplans Theologie ging noch weiter zu der These, Gott sei die Summe aller Naturprozesse, die dem Menschen ein erfülltes Leben erlauben. Kaplan schrieb, „an Gott glauben bedeutet, es für selbstverständlich halten, dass die Bestimmung des Menschen darin liegt, sich über das Animalische zu erheben und alle Formen der Gewalt und Ausbeutung aus der menschlichen Gesellschaft zu eliminieren.“

Unter den neueren Trends gibt es den Ansatz einer Neugestaltung der jüdischen Theologie durch die Perspektive der Prozessphilosophie bzw. Prozesstheologie. Die Prozessphilosophie bezeichnet die grundlegenden Elemente des Universums als Erfahrungsereignisse. Demzufolge sind das, was man gemeinhin als konkrete Dinge bezeichnet, tatsächlich Abfolgen von Erfahrungsereignissen. Erfahrungsereignisse können in Gruppierungen zusammengefasst werden; etwas so Komplexes wie ein menschliches Wesen ist demnach eine Gruppierung vieler kleinerer Erfahrungsereignisse. Aus dieser Sicht ist alles im Universum charakterisiert durch Erfahrung (die nicht mit Bewusstsein verwechselt werden darf); es gibt keine Geist-Körper-Dualität in diesem System, denn „Geist“ ist einfach eine sehr hoch entwickelte Art von Erfahrung.

Zu dieser Philosophie gehört auch die Annahme, dass alle Erfahrungen durch frühere Erfahrungen beeinflusst sind, und dass sie alle zukünftigen Erfahrungen beeinflussen werden. Dieser Prozess der Einflüsse ist nie deterministisch; ein Erfahrungsereignis besteht aus einem Prozess des Verstehens anderer Ereignisse und aus einer Reaktion darauf. Dies ist der „Prozess“ in der Prozessphilosophie. Die Prozessphilosophie gibt Gott einen bestimmten Platz im Universum der Erfahrungsereignisse. Gott umfasst alle anderen Erfahrungsereignisse, aber transzendiert sie gleichzeitig; so ist die Prozessphilosophie eine Form des Panentheismus.

Die Ideen der Prozesstheologie wurden anfänglich entwickelt von Charles Hartshorne (1897–2000), und sie beeinflussten zahlreiche jüdische Theologen, einschließlich des britischen Philosophen Samuel Alexander (1859–1938), sowie die Rabbis Max Kaddushin, Milton Steinberg und Levi A. Olan, Harry Slominsky, und in geringerem Maße Abraham Joshua Heschel. Heute vertreten einige Rabbiner, wie Donald B. Rossoff, William E. Kaufman, Harold Kushner, Anton Laytner, Gilbert S. Rosenthal, Lawrence Troster und Nahum Ward, eine abgeschwächte Form der Prozesstheologie.

Die vielleicht erstaunlichste Entwicklung im jüdischen religiösen Denken des späten 20. Jahrhunderts war das wiedererwachende Interesse an der Kabbala. Viele Philosophen betrachten dies nicht als Form der Philosophie, denn die Kabbala ist eine Form der Mystik. Mystik wird generell verstanden als Alternative zur Philosophie, nicht als Variante der Philosophie.

Holocaust-Theologie

Das Judentum hat traditionell gelehrt, dass Gott omnipotent (allmächtig), omniscient (allwissend) und omnibenevolent (allgütig) sei. Aber diese Behauptungen stehen im Kontrast zu der Tatsache, dass es viel Böses in der Welt gibt. Die wohl schwierigste Frage, mit der Monotheisten konfrontiert sind, ist die Frage, wie wir diese Sichtweise Gottes mit der Existenz des Bösen vereinbaren können. Dies ist das Problem des Bösen. In allen monotheistischen Glaubensrichtungen gibt es Lösungsversuche dieser Frage (Theodizeen). Angesichts der Größe des Bösen, das im Holocaust sichtbar wurde, haben viele Menschen die klassischen Sichtweisen dieses Problems neu untersucht. Wie können Menschen nach dem Holocaust noch an Gott glauben? Diese Problematik der jüdischen Philosophie bezeichnet man als Holocaust-Theologie.

Moderne jüdische Philosophen

Die folgenden Philosophen hatten einen deutlichen Einfluss auf die Philosophie der zeitgenössischen Juden, sofern sie sich als solche verstehen. Es handelt sich um Autoren, die bewusst philosophische Themen in einem jüdischen Rahmen behandelten.

Orthodoxe jüdische Philosophen

  1. Samson Raphael Hirsch (1808–1888) Mittelstellung zwischen der Orthodoxie und der Reformbewegung, Begründer der Neo-Orthodoxie
  2. Abraham Isaac Kook (1865–1935) aschkenasischer Großrabbiner für Palästina, gilt als einer der geistigen Väter des modernen religiösen Zionismus.
  3. Eliyahu Eliezer Dessler (1892–1953) orthodoxe Mussar-Bewegung, Liebe ist „Geben ohne die Erwartung des Bekommens“.
  4. Joseph Ber Soloveitchik (1903–1993) Promotion: Das reine Denken und die Seinskonstitution bei Hermann Cohen; Einfluss auf die Neoorthodoxie in den USA und in Israel, religiöser Zionismus, strenge Befolgung der Halacha
  5. Jeschajahu Leibowitz (1903–1994) Chemiker und Redakteur an der Encyclopaedia Hebraica, prägte den Begriff „Judäo-Nazis“ für unmenschliche israelische Siedler und Soldaten in den besetzten Gebieten.
  6. Alexander Altmann (1906–1987) arbeitete zu Moses Mendelssohn und zur jüdischen Mystik
  7. Yitzchok Hutner (1906–1980) Freundschaft mit Menachem Mendel Schneerson und Joseph B. Soloveitchik
  8. Eliezer Berkovits (1908–1992) Die Begegnung zwischen Gott und Mensch am Sinai ist paradox, weil der Mensch sie nicht fassen kann; Die Shoah betrachtete Berkovits als eine „Hester Panim“, eine „Verbergung des göttlichen Antlitzes“, so dass der Mensch aufgrund seiner Autonomie darauf angewiesen ist, Verantwortung zu übernehmen und Leiden zu ertragen
  9. Eveline Goodman-Thau (* 1934) erste orthodoxe Rabbinerin in Jerusalem und erste Rabbinerin in Wien, im jüdisch-christlichen Gespräch engagiert, setzt sich für Gleichberechtigung ein
  10. Norman Lamm (1927–2020) vermittelte in Israel im Streit um die Frage, Wer ist Jude?
  11. Tamar Ross (* 1938) verbindet Halacha und Orthodoxen Jüdischen Feminismus
  12. Steven T. Katz (* 1944) „International Editorial Board“ der 1990 erschienenen Encyclopedia of the Holocaust
  13. Menachem Kellner (* 1946) mittelalterliche jüdische Philosophie mit besonderem Schwerpunkt auf Maimonides, „Reinventing Maimonides in Contemporary Jewish Thought“
  14. Shalom Carmy (* 1949) „Jewish Perspectives on the Experience of Suffering“

Konservative jüdische Philosophen

  1. William E. Kaufman (1852–1899) arbeitete insbesondere über die jüdische und arabische Religionsphilosophie des Mittelalters, über jüdische Kunst und über jüdische Familiengeschichten.
  2. Leo Strauss (1899–1973) äußerte im Buch „Philosophie und Gesetz“ von 1935 eine scharfe Kritik an der Abkehr der liberalen Vertreter des Judentums von den Quellen des Judentums, wie sie Maimonides in seinen Schriften kanonisiert hatte. Anerkannter politischer Philosoph in den USA, der intensiv auf antike philosophische Quellen zurückgriff.
  3. Jacob Klein (1899–1976) war Schüler von Nicolai Hartmann und Martin Heidegger. Er befasste sich intensiv mit Logik und Mathematik in der antiken griechischen Philosophie und war mit Leo Strauss eng befreundet.
  4. Abraham Joshua Heschel (1907–1972) lehrte am konservativen Jewish Theological Seminary in New York City, wo er eine Professur für jüdische Ethik hatte. Die Verwirklichung des Willens Gottes ist durch ein konsequentes Verfolgen des Konzepts des Tikkun Olam (Heilung der Welt) möglich. Er engagierte sich im jüdisch-christlichen Dialog und unterstützte die afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Gemeinsam mit Martin Luther King nahm er am berühmten Marsch von Selma nach Montgomery teil.
  5. Neil Gillman (1933–2017) war zugleich Schüler von Mordecai Kaplan und Abraham Joshua Heschel, promovierte über Gabriel Marcel, betont zugleich Gemeinschaft und individuelle Existenz
  6. Harold Kushner (1935–2023) wandte sich gegen die Vorstellung eines allmächtigen, interventionistischen Gottes und konzentrierte sich stattdessen auf Gottes Rolle, den Leidenden Trost und Beistand zu spenden. Nähe zu Mordechai Kaplan. Betrachtete die Tora als eine vollständig menschliche Schöpfung.
  7. Elliot N. Dorff (* 1943) Jüdisches Recht und Bioethik, Abgrenzung von Wissen und Glauben, setzte sich für Rabbinerinnen und queere Geistliche ein

Liberale jüdische Philosophen

  1. Ludwig Philippson (1811–1889) Verfechter humanitärer und liberaler Ideen und ein Wortführer für die Rechte der Juden
  2. Hermann Cohen (1842–1918) begründete die Marburger Schule des Neukantianismus, Hinwendung zur Religionsphilosophie im Spätwerk, Impulsgeber für die Dialogphilosophie, postum: Die Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums, Schüler: Ernst Cassirer, Benzion Kellermann, Franz Rosenzweig,
  3. Kaufmann Kohler (1843–1926) Schüler Abraham Geigers, seine Bibelkritik in seiner Dissertation „Jakobs Segen“ zwang ihn letztlich zur Auswanderung in die USA, wo er den Grundriss einer systematischen Theologie des Judentums auf geschichtlicher Grundlage (1010) verfasste
  4. David Neumark (1866–1924) dreibändige Geschichte der jüdischen Philosophie des Mittelalters, Offenbarung als einen durch Menschen vermittelten fortschreitenden Prozess, vertrat einen religiösen Zionismus
  5. Benzion Kellermann (1869–1923) Neukantianer, wurde mit der Arbeit Der Midrasch zum I. Buche Samuelis und seine Spuren bei Kirchenvätern und in der orientalischen Sage: ein Beitrag zur Geschichte der Exegese promoviert, Schriften zur Ethik
  6. Julius Guttmann (1880–1950) Standardwerk: Philosophie des Judentums (1933), dem Sinn des Religiösen, der Unmittelbarkeit des Empfindens kommt im religiösen Leben ein „autonomer“ Wirklichkeitscharakter zu
  7. Max Wiener (1882–1950) Die jüdische Religion im Zeitalter der Emanzipation, wollte die jüdische Religion in nationales Bewusstsein des Judentums einbetten
  8. Albert Lewkowitz (1883–1954) Neukantianer, Philosophie hat die Aufgabe der Rechtfertigung der „religiösen Ideen“ des Judentums, jüdische Philosophie muss stets den Primat der Ethik betonen
  9. Käte Hamburger (1896–1992) Literaturwissenschaftlerin, Ethik des Mitleids
  10. Ernst Simon (1899–1988) gilt als Brückenbauer im interreligiösen und interkulturellen Dialog, war Redakteur der von Buber herausgegebenen Zeitschrift Der Jude und wirkte am Frankfurter Freien Jüdischen Lehrhaus, neigte dem konservativen Judentum zu
  11. Will Herberg (1901–1977) ursprünglich vom Sozialismus herkommender Existenzialist, Anhänger von Martin Buber und dessen Übersetzer ins Englische, betonte in seinem Werk „Judaism and modern man (Judentum und moderner Mensch)“, dass die Gesellschaft verwelken würde, wenn sie ihre jüdisch-christlichen Wurzeln vergessen oder verdrängen würde. Veränderungen in der Gesellschaft wären nur in einem langsamen Prozess nachhaltig.
  12. Fritz Bamberger (1902–1984) Untersuchungen zur Entstehung des Wertproblems in der Philosophie des 19. Jahrhunderts, Das System des Maimonides
  13. Schalom Ben-Chorin (1913–1999) Gründer der ersten jüdischen Reformgemeinde (Har El) in Israel. Engagierte sich stark im jüdisch-christlichen Dialog. Die Frage nach der Theologie nach dem Holocaust war ihm ein wichtiges Thema.
  14. Hermann Levin Goldschmidt (1914–1998) gründete 1951 in Zürich ein Freies Jüdisches Lehrhaus, war ein wichtiger Vertreter der Dialogphilosophie als kritischer Philosophie. Fragte nach dem Sinn und Ziel jüdischer Existenz nach Auschwitz. Sah sich in der aufklärerischen Tradition von Spinoza und Mendelsohn. Der Dialog ist eine Möglichkeit, den Widerspruch zwischen Vernunft und Glauben, zwischen Universalismus und Partikularismus zu bearbeiten und produktiv zu nutzen, ohne ihn aufzuheben.
  15. Emil Fackenheim (1916–2003) orientierte sich einerseits an Rosenzweig und Buber, war andererseits ein Spezialist für den deutschen Idealismus von Kant, Hegel, Fichte und Schelling. Sein 614. Gebot (Mitzwa) formulierte er in Hinblick auf die Shoah: „Es ist uns Juden verboten, Hitler nachträglich siegen zu lassen.“ Forderte vom Christentum nach dem Holocaust eine neue Reformation in der Theologie.
  16. Eugene Borowitz (1924–2016) arbeitete zur jüdischen Ethik und trat für eine Erneuerung des Bundes ein.
  17. Rivka Horwitz (1926–2007) forschte zum jüdischen Erbe in der deutschen Geistesgeschichte vom Moses Mendelssohn bis Martin Buber und Franz Rosenzweig.
  18. Martha Nussbaum (* 1947) ist Konvertitin und feierte 2008 mit 61 Jahren ihre Bat Mitzwa. In ihrer D'var Torah (Interpretation eines Tora-Textes) vertrat sie unter Berufung auf Maimonides, Mendelsohn und Kant die These, dass die Grundsätze der Tora für die gesamte Menschheit, nicht nur für das jüdische Volk gelten. Aufgrund der heiligen Schriften ist das jüdische Volk besonders geeignet, die Menschen zu sozialem Engagement zu bewegen. Man muss allerdings zwischen historischen und ewigen Wahrheiten (insbesondere dem Dekalog) unterscheiden.
  19. Susannah Heschel (* 1956) ist Tochter von Abraham Joshua Heschel. Sie ist Bibelwissenschaftlerin, promovierte über Abraham Geiger, forscht zum Holocaust und zum zur jüdischen Islamwissenschaft. Sie ist jüdische Feministin und führte den Brauch ein, auf den Seder-Teller als Zeichen der Vielfalt eine Orange zu legen, in die auch queere Menschen einzubeziehen sind.

Rekonstruktionistische jüdische Philosophen

  1. Mordecai M. Kaplan (1881–1983) forderte, dass die Rituale des Judentums und die Glaubensüberzeugungen auf ihren Sinn hin überprüft und an die modernen wissenschaftlichen Erkenntnisse und gesellschaftlichen Überzeugungen angepasst werden müssen. War eng mit dem konservativen Judentum verbunden, ging aber in der Modernisierungsidee weit darüber hinaus und forderte eine „Rekonstruktion“ des Judentums. Begründete 1922 die „Society for the Advancement of Judaism“. Das Judentum ist nach Kaplan nicht eine göttlich gegebene Religion, sondern eine sich über Jahrtausende entwickelnde Kulturgemeinschaft. Lehne eine Offenbarung ab. Gott ist das Leben des Universums (Nähe zur Prozesstheologie). Die Tora ist als historische Schrift zu betrachten und es ist erforderlich, die alten Schriften neu zu interpretieren. Alle anthropomorphen Beschreibungen Gottes können nur metaphorisch verstanden werden. Entwickelte eine neue Liturgie (Haggadah). Stieß sowohl bei den Orthodoxen als auch den Liberalen auf heftige Kritik, prägte aber mit seinen Thesen die Entwicklung des Judentums in den USA.
  2. Ira Eisenstein (1906–2001) war Schwiegersohn Kaplans und trug wesentlich zur Verbreitung und Institutionalisierung von dessen Ideen bei. Veröffentlichte hierzu eine Reihe von popularisierenden Büchern und Broschüren. Begründete 1968 das Reconstructionist Rabbinical College (RRC), das einzige jüdische Rabbi-Seminar, das dem rekonstruktivistischen Judentum angeschlossen ist
  3. Jack Cohen (1919–2012) veröffentlichte diverse Materialien zum Rekonstruktivismus und war Mitherausgeber der von Kaplan begründeten Zeitschrift „The Reconstruktivist“.

Andere

  1. Karl Joël (1864–1934) betrachtete in seinem Hauptwerk „Seele und Welt“ die ganze Welt als organische Struktur und als dynamischen Prozess.
  2. Gustav Landauer (1870–1919) Freund von Fritz Mauthner und Martin Buber war Anarchist und sozialistischer Aktivist, der einen Halt in der jüdischen Mystik fand. Er war Minister in der Münchner Räterepublik und wurde von antirepublikanischen Freikorps-Soldaten in der Haft ermordet
  3. Theodor Lessing (1872–1933) orientierte sich an Schopenhauer, Nietzsche und Georg Simmel. Er forderte in seiner „Philosophie als Tat“ einen Aktivismus und betrachtete Philosophie als praktischer Wissenschaft des Glückes und der Eugenese. Wie Oswald Spengler war er ein Vertreter einer pessimistischen Kultur- und Geschichtsphilosophie. Er wurde 1933 im Exil in Tschechien ermordet.
  4. Margarete Susman (1872–1966) Lyrikerin, befreundet mit Gustav Landauer und Marin Buber, Lebensphilosophin wie ihr Lehrer Georg Simmel, übersetzte Bergsons „Einleitung in die Metaphysik“, rezensierte den Stern der Erlösung von Franz Rosenzweig, engagierte sich in der Frauenbewegung, Hinwendung zum Zionismus, Schriften zum Judentum (Wege des Zionismus 1916, Die Revolution und die Juden 1919, Die Brücke zwischen Judentum und Christentum 1921, Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes 1946, Deutung biblischer Gestalten 1955), betrachtete den ultraorthodoxe Chassidismus als „die letzte große explizit religiöse, d. h. an den offenbaren Gott angeschlossene und aus ihm lebende Erscheinung des jüdischen Geistes.“
  5. Martin Buber (1878–1965) vielfältiger Schriftsteller. Sein Thema war zunächst die Vermittlung der Gedanken des Chassidismus. Mit seinem Werk Ich und Du Mitbegründer der Dialogphilosophie. Freies Jüdisches Lehrhaus in Frankfurt, Religiöser Zionist, der sich für ein gleichberechtigtes Verhältnis zur arabischen Bevölkerung Israels einsetzte (Brit Schalom und Ihud). Textgenaue Übersetzung des Tanach in Zusammenarbeit mit Franz Rosenzweig ins Deutsche.
  6. Samuel Hugo Bergman (1883–1975) war Mitglied von Bar Kochba, wanderte 1920 nach Israel aus und war bis 1935 erster Direktor der National- und Universitätsbibliothek, arbeitete für den philosophischen Teil mit an der Encyclopaedia Judaica und wurde Professor für Philosophie, war Mitglied der sozialistischen Arbeiterpartei HaPoel HaZair und von Brit Shalom. Er schrieb auf Hebräisch über Kant, Maimon und andere bedeutende Denker des 20. Jahrhunderts wie Alfred North Whitehead. Seine Themen waren auch Quantenmechanik und Spontaneität in der Natur. Ein besonderes Interesse galt der Anthroposophie.
  7. Felix Weltsch (1884–1964) war ein Schulfreund Franz Kafkas, den er in „Religion und Humor im Leben und Werk Franz Kafkas“ portraitierte. Weltsch vertrat in dem gemeinsam mit Max Brod verfassten Werk „Anschauung und Begriff“ die These, das außerhalb der exakten Wissenschaften die Wahrnehmungswelt von einer Vielzahl von vagen, unbestimmten, verschwommenen Sinnes- und Gedächtniseindrücken bestimmt ist, die eine empirisch arbeitende Psychologie ebenso wie die philosophische Erkenntnistheorie zu berücksichtigen habe. In seiner Rezension zu „Gnade und Freiheit: Untersuchung zum Problem des schöpferischen Willens in Religion“ stellte Hugo Bergmann fest: „Betrachtet man alle Formen der Freiheitsreligion, die sich im Verlaufe der Geschichte herauskristallisiert haben, so findet man bei jeder den Punkt, wo sie in irgendeiner Form in die Gnadenreligion einbiegt. […] diese Lehre von Felix Weltsch ist so erhaben tröstend, so zuversichtlich, so im besten edelsten Sinne jüdisch, daß jeder Auszug, den ich versuchen würde, ihre Wirkung herabsetzten müßte.“ In seinem postum veröffentlichten Werk „Sinn und Leid“ setzte Weltsch sich mit der Sinnfrage und mit dem Denken Heideggers, dem Existenzialismus von Camus und der Dialogischen Philosophie Bubers auseinander. Für Weltsch kann die Antwort nur in einem Glauben begründet werden.
  8. Franz Rosenzweig (1886–1929) entschied sich bewusst gegen eine Konversion zum Christentum. Ursprünglich Historiker mit einer kritischen Veröffentlichung zu Hegel war er Schüler Hermann Cohens, dem er 1917 einen Aufsatz „Zeit ists ... : Gedanken über das jüdische Bildungsproblem des Augenblicks“, der später zum freien jüdischen Lehrhaus in Frankfurt führte, dessen erster Leiter Rosenzweig war. Veröffentlichte 1921 den Stern der Erlösung, ein religionsphilosophisches Grundlagenwerk, das weithin rezipiert wurde. „Neues Denken“ – Erläuterung zum Stern. Arbeitete gemeinsam mit Martin Buber an einer Übersetzung des Tanach, bis er 1929 mit 43 Jahren an einer unheilbaren Krankheit starb. Spätere jüdische Philosophen wie Emanuel Levinas bezogen sich auf Rosenzweig.
  9. Fritz Heinemann (1889–1970) wurde mit der Arbeit „Der Aufbau von Kants Kritik der reinen Vernunft und das Problem der Zeit“ promoviert. Er gilt als Kritiker der Existenzphilosophie und der Lebensphilosophie, bezog aber aus beiden Denkrichtungen Impulse. Er entwickelte eine „Resonanztheorie“ analog zur Dialogphilosophie, nach der man eine Harmonie nur durch Antworten auf den Anruf des Anderen herstellen kann.
  10. André Neher (1914–1988) studierte zunächst Germanistik und Musik und arbeitete 1940 an einer Dissertation über das „Deutschtum bei Heinrich Heine“. Aufgrund der Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten wandte er sich ganz dem Judentum zu. Er vertrat die klassische Lehre vom auserwählten Volk und wandte sich gegen Thesen, dass der Antisemitismus die Identität der Juden bestimme. Er wandte sich auch gegen eine „Gott-ist-tot-Theologie“ und interpretierte Gottes Schweigen während des Holocaust als Offenbarung der Freiheit. Nach dem Sechstagekrieg ging er mit seiner Familie 1973 aus Solidarität nach Israel und vertrat nun eine Gleichsetzung von Volk, Land und Staat Israel. Neher wendete sich somit von einem universalistischen Judentum ab.
  11. Vilém Flusser (1920–1991) war als Medienphilosoph bekannt. Er kontrastiert den griechischen Kreisdialog, in dem es vor allem um Theorien und Ideen und neue Informationen geht, mit dem jüdischen Netzdialog, in dessen Mittelpunkt existenzielle Fragen wie der Tod, die Absurditäten des Lebens sowie der Austausch mit dem Anderen stehen. Erkenntnis wird vor allem möglich in der Anerkennung des Anderen. Die Theorien in den Wissenschaften der Neuzeit und der Moderne haben dem jüdischen Dialog verdrängt. Durch die auf Computer gestützten neuen Kommunikationsformen entsteht die Möglichkeit jüdische Tradition wiederzuentdecken und fruchtbar zu machen. Flusser hat sich in vielen kleineren Schriften mit seinem Judentum auseinandergesetzt,
  12. Jacob Taubes (1923–1987) bezeichnete sich selbst als Judenchristen und war Anhänger der Kritischen Theorie, war aber auch an der Gnosis interessiert. Taubes bestimmte das Wesen der Eschatologie aus den historischen Quellen des Judentums „Israel ist das unruhige Element in der Weltgeschichte, der Gärungsstoff, der erst eigentlich Geschichte schafft“
  13. Richard Lowell Rubenstein (1924–2021) veröffentlichte als erstes Werk „After Auschwitz“, in dem er die Existenz eines Gottes und insbesondere die Auserwählung des jüdischen Volkes bezweifelte.
  14. Roger S. Gottlieb (* 1946), hat als Hauptthemen Religion und die Umweltkrise und engagiert sich dabei für den moralischen Wert der Natur, die Möglichkeit einer „ökologischen“ Demokratie und einen verantwortungsvollen Umgang mit Tieren. Gottlieb steht der Hitḥadeshut Yehudit (Jüdische Erneuerung) nahe, einer jüdisch religiösen Bewegung, die versucht, das moderne Judentum mit kabbalistischen, chassidischen und musikalischen Praktiken zu beleben.
  15. Judith Butler (* 1956) wurde 1984 mit einer Dissertation über den Begriff der Begierde bei Hegel und seiner Rezeption bei Alexandre Kojève, Jean Hyppolite und Jean-Paul Sartre promoviert. Butler ist engagiert in der Frauenbewegung (dekonstruktivistische Geschlechterforschung, Gender Studies). Diskursive und sprachliche Macht ist für sie das „fundamentale Konstruktionsprinzip von Wirklichkeit“. Sie tritt für eine Ein-Staaten-Lösung in Israel ein und bezeichnete die Hamas und Hisbollah als „progressive soziale Bewegungen“ und „Teil der globalen Linken“ und setzt sich für die BDS-Bewegung ein. Viele ihrer Positionen sind umstritten.
  16. Omri Boehm (* 1979) wuchs in Israel auf und wurde 2009 über Kants Spinoza-Kritik an der Yale University in Philosophie promoviert. Er vertritt einen Verbund von Israel in einer regulierten Zwei-Staaten-Lösung in einem zentralen Bundesstaat (Republik Haifa). Moralphilosophisch vertritt er einem „radikalen Universalismus“ anknüpfend an Immanuel Kant und die biblischen Propheten und wendet sich dabei gegen Identitätspolitiker, deren Partikularismus häufig mit sexistischen und rassistischen Vorurteilen verbunden ist.

Durch ihren jüdischen Hintergrund geprägte Philosophen

  1. Henri Bergson
  2. Fritz Mauthner
  3. Émile Meyerson
  4. Wilhelm Jerusalem
  5. Jonas Cohn
  6. Siegfried Marck
  7. Jean Wahl
  8. Theodor W. Adorno
  9. Herbert Marcuse
  10. Hannah Arendt
  11. Günther Anders
  12. Siegfried Kracauer
  13. Walter Benjamin
  14. Edith Stein
  15. Ernst Bloch
  16. Karl Löwith
  17. Vladimir Jankélévitch
  18. Constantin Brunner
  19. Noam Chomsky
  20. Erich Fromm
  21. Simone Weil
  22. Jeanne Hersch
  23. Max Horkheimer
  24. Hans Jonas
  25. Emmanuel Levinas
  26. Michael Walzer
  27. Michael Sandel
  28. Thomas Nagel
  29. Karl Raimund Popper
  30. Hans Reichenbach
  31. Ernst Tugendhat
  32. Gershom Scholem
  33. Sarah Kofman
  34. Peter Singer
  35. Jacques Derrida
  36. Hilary Putnam

Literatur

  • Johannes Brachtendorf: Jüdische Philosophie von Philo bis Levinas. utb, Tübingen 2025, ISBN 9783825265922.
  • Daniel H. Frank (Hrsg.): History of Jewish philosophy. (= Routledge history of world philosophies. 2). London 1997.
  • Daniel H. Frank, Oliver Leaman, Charles H. Manekin (Hrsg.): The Jewish Philosophy Reader, Routledge, London / New York 2000
  • Daniel H. Frank (Hrsg.): The Cambridge companion to medieval Jewish philosophy. (= Cambridge companions to philosophy). Cambridge u. a. 2003, ISBN 0-521-65574-9.
  • Karl Erich Grözinger: Jüdisches Denken. Theologie - Philosophie - Mystik, 5 Bände, Campus, Frankfurt 2021
    • Band 1: Vom Gott Abrahams zum Gott des Aristoteles, ISBN 978-3-59337512-0
    • Band 2: Von der mittelalterlichen Kabbala zum Hasidismus, ISBN 978-3-59337513-7
    • Band 3: Von der Religionskritik der Renaissance zu Orthodoxie und Reform im 19. Jahrhundert, ISBN 978-3-59337514-4
    • Band 4: Zionismus und Schoah, ISBN 978-3-59339141-0
    • Band 5: Meinungen und Richtungen im 20. und 21. Jahrhundert, ISBN 978-3-59351107-8
  • Julius Guttmann: Die Philosophie des Judentums. Wiesbaden 1933. (Neudruck: 1995, ISBN 3-921695-96-1) (online im Projekt Gutenberg.de)
  • Maurice-Ruben Hayoun: Geschichte der jüdischen Philosophie. WBG, Darmstadt 2004, ISBN 3-534-10260-6.
  • Andreas B. Kilcher, Ottfried Fraisse, Yossef Schwartz (Hrsg.): Metzler-Lexikon jüdischer Philosophen. Philosophisches Denken des Judentums von der Antike bis zur Gegenwart. Metzler, Stuttgart 2003. (online)
  • Joaquín Lomba: Filosofía judía medieval hispana. In: Reyes Mate, Ricardo Forster: El judaísmo en Iberoamérica. Editorial Trotta, Madrid 2007, ISBN 84-8164-909-0, S. 91–122.
  • Charles Manekin (Hrsg.): Medieval Jewish Philosophical Writings. (= Cambridge Texts in the History of Philosophy). University Press, Cambridge 2008.
  • Thomas Meyer: Vom Ende der Emanzipation. Jüdische Philosophie und Theologie nach 1933. Vandenhoeck und Ruprecht Verlag, Göttingen 2008, ISBN 978-3-525-35094-2. (Digitalisat) (Rezension von Karl E. Grözinger)
  • Michael L. Morgan, Peter Eli Gordon (Hrsg.): The Cambridge companion to modern Jewish philosophy. Cambridge 2007, ISBN 978-0-521-01255-3. (Verlagsseite, Rezension von Abraham Socher)
  • Dov Schwartz: Central problems of medieval Jewish philosophy. (= The Brill reference library of Judaism; Band 26). Leiden u. a. 2005.
  • Heinrich Simon, Marie Simon: Geschichte der jüdischen Philosophie. 2. Auflage. Union, Berlin 1990, ISBN 3-372-00376-4. (TB: (= Reclams Bibliothek 1656). 1. Auflage. Reclam, Leipzig 1999, ISBN 3-379-01656-X)
  • Colette Sirat: A History of Jewish Philosophy in the Middle Ages. 2. Auflage. Cambridge 1990.

Belege

  1. Steven Nadler, T. M. Rudavsky: Introduction. In: Steven Nadler, T. M. Rudavsky: The Cambridge History of Jewish Philosophy. Cambridge University Press, 2008, S. 3.
  2. Ausführlich zum Begriff Friedrich Niewöhner: Vorüberlegungen zu einem Stichwort „Philosophie, jüdische“, in: Archiv für Begriffsgeschichte, 24, 2 (1980), S. 195–220
  3. Leopold Zunz: Etwas über die rabbinische Litteratur, Berlin 1818, in: Gesammelte Schriften, Berlin 1875, Nachdruck Hildesheim 1975, S. 28. Für Zunz war die Darstellung der Geschichte der jüdischen Philosophie eine noch zu leistende Aufgabe.
  4. Julius Guttmann: „Philosophie des Judentums“ erschienen in der Reihe Geschichte der Philosophie in Einzeldarstellungen, Ernst Reinhardt, München 1933, S. 9. Guttmann beginnt in seiner Darstellung mit der Entstehung der Tora und reicht bis zu Hermann Cohen.
  5. Das Bild findet sich ursprünglich bei Tertullian (Tertullian, de praescr. haer. 7,16 = Was hat Athen in der Tat mit Jerusalem zu tun?) und wird bei Augustinus (Buch VII der Confessiones) gegen Tertullian fortgeführt.
  6. David Hartman in seiner Maimonides-Interpretaton: Thora and the Philosophic Quest, New York 1976, S. 7: „Once the outgrowths of Athens have taken root in the soil of Jerusalen both cities may not need to remain opposing spiritual poles. A new, spiritual synthesis with different categories may emerge. Man may remain fully within the way of Jerusalem and yet deeply appreciate and appropriate the way of Athens.”
  7. Jürgen Habermas: Israel und Athen oder: Wem gehört die anamnetische Vernunft?, in: Johann Baptist Metz et al., Diagnosen zur Zeit, Patmos, Düsseldorf 1994, S. 51–64
  8. Leo Strauss, “Jerusalem and Athens: Some Preliminary Reflections” (1967), in Leo Strauss: Studies in Platonic Political Philosophy, University of Chicago Press, Chicago, London 1983, S. 147–173
  9. Leo Schestow: Athen und Jerusalem - Versuch einer religiösen Philosophie, Schmidt-Dengler 1938, Nachdruck Matthes & Seitz 1994
  10. Guttmann, S. 10
  11. Aufgeworfen hat das Thema der Rechtshegelianer Bruno Bauer: Die Judenfrage, Braunschweig 1843. 1844 antwortete Karl Marx: Zur Judenfrage, Deutsch-Französische Jahrbücher, S. 182–214; siehe auch Paul Tillich: Die Judenfrage, ein christliches und ein deutsches Problem: vier Vorträge, gehalten an der Deutschen Hochschule für Politik, Weiß, Berlin 1953 sowie Jean-Paul Sartre: Überlegungen zur Judenfrage (1944/1946). in ders.: Überlegungen zur Judenfrage, Reinbek, Hamburg 1994, S. 9–91
  12. Matthias Brosch: Rezension zu Krieger, Karsten (Hrsg.): Der „Berliner Antisemitismusstreit“ 1879–1881. Eine Kontroverse um die Zugehörigkeit der deutschen Juden zur Nation. Eine kommentierte Quellenedition im Auftrag des Zentrums für Antisemitismusforschung. München: K.G. Saur 2003, in: H-Soz-Kult 14.04.2004
  13. Reiner Wimmer: Vier jüdische Philosophinnen. Rosa Luxemburg, Simone Weil, Edith Stein, Hannah Arendt, Reclam, Leipzig 1990: „Das überaus reiche Leben und Werk einer jeden Philosophin wird dann in jeweils drei Vorlesungen entfaltet. Wenn sich dabei herausstellt, dass der Gehalt ihres Denkens kaum explizite jüdische Quellen hat, so wurzelt die von diesen Frauen gelebte Einheit von Praxis und Reflexion, Intellektualität und Emotionalität, Selbstbewußtsein und Engagement doch wohl in einem Boden, den so nur jüdische Gemeinden und Gemeinschaften darboten, die sich mit geistiger Leidenschaft und leiblicher Solidarität durch die Jahrhunderte hindurch gegenüber einer fast permanent feindlichen Umwelt zu behaupten hatten.“, Vorwort S. 9
  14. Joachim Valentin, Saskia Wendel (Hrsg.): Jüdische Traditionen in der Philosophie des 20. Jahrhunderts, Primus in Herder 2000. Nicht genannt werden in diesem Zusammenhang Erich Fromm, Friedrich Pollock und Leo Löwenthal, obwohl auch diese Mitbegründer des Frankfurter Instituts für Sozialforschung einen jüdischen Hintergrund haben. Bei ihnen bietet sich allerdings eher die Kategorie jüdische Denker an. Gershom Scholem nannte den Kreis um Max Horkheimer eine der „bemerkenswertesten jüdischen Sekten“, in: Von Berlin nach Jerusalem, Frankfurt 1994, S. 162
  15. Benjamin Balint: An Interview with Martha C. Nussbaum, in Sources, Spring 2022, sowie Martha Nussbaum: ‘I am a committed Jew whose membership in a Reform Jewish congregation is an important part of my life and my search for meaning.’ in: Liberty of Conscience: In Defence of America’s Tradition of Religious Equality, Basic Books, New York 2008, S. 9
  16. Hilary Putnam: Jewish Philosophy as a Guide to Life, Indiana University Press 2008, siehe auch den biographischen Artikel von Alexander Hippmann: Hilary Putnam: Von der „Matrix“-Welt zur Religion auf science.ORF.at sowie Hilary Putnam: Philosophy as Dialogue, hrsg. von Mario De Caro und David Macarthur, Belknap Press 2022
  17. David M. Scholer, C. D. Yonge: The Works of Philo. Hendrickson Publishers, 1991, ISBN 0-943575-93-1.
  18. Abraham Melamed: Politics and the State. In: Steven Nadler, T. M. Rudavsky: The Cambridge History of Jewish Philosophy. Cambridge University Press, 2008, Band 1, S. 768.
  19. Vergleiche Ps 36,10 EU
  20. Sarah Pessin: The Stanford Encyclopedia of Philosophy. Hrsg.: Edward N. Zalta. Sommer 2014. Metaphysics Research Lab, Stanford University, 18. April 2014, Solomon Ibn Gabirol [Avicebron] ([1] [abgerufen am 13. Oktober 2015]).
  21. Magret Heitmann: Steinheim, Salomon Ludwig, in: Deutsche Biographie (NDB 25, 2013)
  22. Moses Hess: Rom und Jerusalem (Köln 1862), 2. unveränderte Aufl., M. W. Kaufmann, Leipzig 1899
    1. S. 141
    2. S. 52
    3. S. 57
  23. The Mourner’s Hope. Martha Nussbaum’s bat mitzvah talk, on grief and the foundations of justice, in: Boston Review, 1. November 2008, siehe hierzu auch Jennifer Rolnick: Jewish Thought: From Maimonides to Martha Nussbaum, 10. Dezember 2020
  24. Margarete Susmann: Das Nah- und Fernsein des Fremden. Essays und Briefe, Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main 1992, S. 219
  25. Hugo Bergmann: Gnade und Freiheit. Bemerkungen zum Buche Felix Weltschs. In: Der Jude, Jg. 6 (1921) Nr. 1, S. 69–71
  26. „Hoffnung liegt nicht im Lachen oder in der Fülle. Hoffnung liegt in den Tränen, im Risiko und in ihrer Stille“, André Neher: L’Exil de la parole. Du silence biblique au silence d’Auschwitz. Seuil, Paris 1970, S. 256
  27. Die Haltung Israel gegenüber: Stadt, Land und Volk. In: Concilium. Internationale Zeitschrift für Theologie. Band 10, 1974, S. 580–584 (online)
  28. Rainer Guldin: Jude sein, in: Flusser Studies 26
  29. Vilém Flusser: Jude sein. Essays, Briefe, Fiktionen. Hrsg. von Stefan Bollmann und Edith Flusser, Europäische Verlagsanstalt 2014
  30. Jacob Taubes: Abendländische Eschatologie, zitiert nach Metzler Lexikon Jüdischer Philosophen

wikipedia, wiki, enzyklopädie, buch, bibliothek, artikel, lesen, kostenlos herunterladen, Informationen über Jüdische Philosophie, Was ist Jüdische Philosophie? Was bedeutet Jüdische Philosophie?