Das Kaiserrecht (lat. pl.: constitutiones) war im Mittelalter ab dem 13. Jahrhundert zunächst die Bezeichnung für die deutschen Reichsgesetze und auch für das römische Recht des Heiligen Römischen Reiches. Es gründete sich auf dem im Investiturstreit ausgeprägten Gedanken, dass die weltliche Autorität des Kaisers Grundlage des erlassenen Rechts war, nicht dagegen die spirituelle Komponente der Kaiser- und Reichsidee. Den Gegensatz zum Kaiserrecht bildet häufig das kirchliche Recht.
Die deutschen Kaiser betrachteten die römischen Imperatoren als ihre Vorfahren in der Weltherrschaft (vgl. auch Translatio imperii). Römisches Recht wurde zum Vorbild absoluter, universeller Herrschaft.
Auch Rechtsbücher, die im Hochmittelalter vor der gelehrten Rezeption des römischen Rechts entstanden, wurden als Kaiserrecht bezeichnet, weil sie zur Erhöhung ihrer Autorität dem Kaiser zugeschrieben wurden. Das gilt vor allem für den Schwabenspiegel und das so genannte Kleine Kaiserrecht (entstanden vermutlich in Frankfurt am Main um 1350), beide beruhend auf dem Sachsenspiegel, seltener auch für den Sachsenspiegel selbst. Neue Forschung belegt, dass von der Forschung bisher als Einbeziehung des römischen Rechts gewertete Bezüge auf das Kaiserrecht im Stadtrecht von Lüneburg aus 1401 und in zahlreichen weiteren Quellen tatsächlich den Schwabenspiegel meinten.
Römische Kaiserzeit
Ferner wird die kaiserliche Gesetzgebung in Rom als Kaiserrecht bezeichnet. Dabei werden zwei Gestaltungstypen unterschieden.
Zum einen gab es kaiserliche Texte und Willensäußerungen, die mit normativer Geltung versehen waren und von genereller Bedeutung für die Bereiche des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens, die constitutiones. Bezugspunkte waren das Staats- und Verwaltungsrecht, Strafrecht und Gerichtsverfassungsrecht. Die Rechtspflege und das Privatrecht wurden autoritativ einbezogen; der Kaiser griff auch in diesen Bereich mittels Erlassen und Anordnungen ein. Gestalterisch waren es orationes (gehalten vor dem Senat), Gesetze (leges) und Edikte (edicta), die generell-abstrakte Anordnungen und Regelungen waren und öffentlich angeschlagen wurden (beispielsweise das Höchstpreisedikt unter Diokletian). Rechts- und Dienstanweisungen an Beamte, die sogenannten mandata, enthielten Regelungen zum administrativen Binnenverkehr (Amtsführung) derselben und zu den Rechten Betroffener nach geltendem Recht im Außenverhältnis. Nachdem sie ursprünglich an die Amtszeiten der Hoheitsträger gebunden waren, verstetigten sie sich als verbindliche Rechtsquellen, indem die Regelungen zu den Aufgabenbereichen nach und nach auf die Amtsnachfolger übertragen wurden.
Zum anderen gab es Einzelfallmaßnahmen mit beschränktem Anwendungsbereich. Besonders im zivil- und strafrechtlichen Bereich wurden Dekrete (decreta) erlassen, der Kaiser erließ aber auch Entscheidungen bei Gericht (Urteile). Anfänglich allein als Einzelfallentscheidungen das Recht der im Streit gebundenen Parteien regelnd, erlangten Urteile im Laufe der Zeit präjudizielle, über den Rechtsstreit hinausgehende, Wirkung. Ab Mitte des 2. Jahrhunderts wurden kaiserliche Urteile gesetzesgleich behandelt. Ihre normative Kraft erhielten Urteile allerdings erst dadurch, dass autoritative Stellungnahmen und Gutachten (responsa) von Rechtsgelehrten (auctores) herangezogen wurden. Als Entscheidungsorgane wirkten sie im consilium principis mit und erhoben dort ihre Stimme. Verbindliche Rechtsauskünfte, die auf Anträge von Amtsträgern oder auch Privaten ergingen, waren im ersten Fall die epistulae (erlassen nach Vorbereitung durch seine „Kanzlei ab epistulis“), im zweiten Fall die Reskripte (rescripta). An beide waren die streitentscheidenden Richter, die Kenntnis von den Entscheidungen durch öffentlichen Anschlag erlangten und in anderen Fällen von der kaiserlichen Vollmachtserteilung an herausgehobene Juristen durch den Vermerk „ex auctoritate pricipis“ wussten, gebunden.
Ab der Mitte des 3. Jahrhunderts (Periode zwischen dem Tod des Alexander Severus und der Machtübernahme durch Diokletian) ging die Gesetzgebung nur noch vom Kaiser aus; die Gleichstellung zum Gesetz hielt Ulpian entsprechend fest: quod principi placuit legis habet vigorem. In der Folge wurden Konstitutionen ebenso gesammelt wie (vormals) Gesetze. Neue Rechtsprinzipien wurden selten statuiert, vornehmlich galt hergebrachtes Privatrecht. Kaiser Justinian erließ als eigenes Kaiserrecht die Novellae und früheres Kaiserrecht, den Codex Iustinianus, beide sind in der spätantiken Gesamtdarstellung, dem später so genannten Corpus iuris civilis, enthalten. Bereits das bedeutende Vorgängerwerk, der Codex Theodosianus, enthielt kaiserrechtliche Vorschriften.
Literatur
- Decretum. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band IV,2, Stuttgart 1901, Sp. 2289–2306.
- Max Kaser: Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode. In: Forschungen zum Römischen Recht, Band 36, Böhlau, Wien/Köln/Graz 1986, ISBN 3-205-05001-0. S. 17 f.; 91 f; 186.
- Max Kaser: Das Römische Privatrecht. (= Handbuch der Altertumswissenschaft. Abteilung 10: Rechtsgeschichte des Altertums. Band 3.3.1: Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht). C.H.Beck, München 1955, 2. Auflage 1971. Erster Abschnitt. S. 166; 177; 187 f.
- Hartmut Leppin: Die Gesetzgebung Iustinians – der Kaiser und sein Recht. In: Karl-Joachim Hölkeskamp, Elke Stein-Hölkeskamp (Hrsg.): Erinnerungsorte der Antike. Die römische Welt. Beck, München 2006, ISBN 3-406-54682-X, S. 457–466, (Knappe Einführung auf dem neuesten Forschungsstand und mit weiterführenden Literaturangaben.).
- Dietlinde Munzel-Everling: Das Kleine Kaiserrecht. Text und Analyse eines mittelalterlichen Rechtsbuches. Leithandschrift der Fürstlichen Bibliothek Corvey. Hylaila-Verlag, Wiesbaden 2019, ISBN 978-3-00-061953-3.
- Peter Oestmann: Der Schwabenspiegel als norddeutsches Kaiserrecht. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung (ZRGG) Bd. 141 (2024), ISSN 0323-4045, S. 88–155.
- Franz Wieacker: Römische Rechtsgeschichte. Quellenkunde, Rechtsbildung, Jurisprudenz und Rechtsliteratur. 2 Bde. (= Handbuch der Altertumswissenschaft, Abt. 10, Teil 3); Abschnitt 2: Die Jurisprudenz vom frühen Prinzipat bis zum Ausgang der Antike im weströmischen Reich und die oströmische Rechtswissenschaft bis zur justinianischen Gesetzgebung. Ein Fragment. Aus dem Nachlass von Franz Wieacker. Hrsg. von Joseph Georg Wolf. Mit einer Bibliographie von Ulrich Manthe. Unter Mitarbeiter von Marius Bolten, Beck, München 2006, ISBN 978-3-406-33928-8. S. 166–171.
Anmerkungen
- Peter Oestmann, Der Schwabenspiegel als norddeutsches Kaiserrecht. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung, 2024, S. 88–155, insbesondere S. 94–96, 107 f., 137, 145, 153.
- Michel Humbert: Faktoren der Rechtsbildung. In: Ulrike Babusiaux, Christian Baldus, Wolfgang Ernst, Franz-Stefan Meissel, Johannes Platschek, Thomas Rüfner (Hrsg.): Handbuch des Römischen Privatrechts. Mohr Siebeck, Tübingen 2023, ISBN 978-3-16-152359-5. Band I, S. 3–31, hier S. 29–31 (Rnr. 56–61).
- Vgl. zum Komplex, Gottfried Härtel, Frank-Michael Kaufmann (Hrsg.): Codex Justinianus. Leipzig, Reclam, 1991. ISBN 3-379-00530-4. S. 8 f.
- Ulpian 1 Institutionum libri II, in: Digesten 1, 4, 1 pr.
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