Ein Schulaufsatz ist ein von einem Schüler verfasster, in sich geschlossener Text zu einem (meist) vom Lehrer vorgegebenen Thema in einer festgelegten Form.
Vorläufer
Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts war Latein die Sprache der Gelehrtenschule. Texte wurden überwiegend in lateinischer Sprache verfasst. Die Verwendung der deutschen Sprache war in den Elementarschulen auf die Bereiche Lesen- und Schreibenlernen beschränkt. Aufsätze in heutiger Form gab es noch nicht.
Ein Vorläufer des Schulaufsatzes war im 18. Jahrhundert die an der antiken Rhetorik orientierte deutsche Oratorie. Sie wurde im 19. Jahrhundert durch sog. Stilübungen abgelöst. Stilübungen dienten dem Zweck, in Anlehnung an Johann Gottfried Herder, die sogenannten Seelenkräfte wie Empfindungs-, Imaginations- und Urteilskraft sowie besonders die Verstandeskraft der Schüler zu entwickeln. Etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts rückte an den Gymnasien schwerpunktmäßig die Ausbildung der Verstandeskraft ins Zentrum. Abhandlungen wurden zur favorisierten Aufsatzsorte. Sie hatten einen festen Aufbau: 1. Fragestellung, 2. These, 3. Austausch der Pro- und Contra-Argumente, 4. Schlussfolgerung. Sinn und Zweck der Abhandlung in Aufsatzform war die möglichst objektive Auseinandersetzung mit einer offenen Fragestellung und deren Beantwortung nach kritischer Abwägung aller Argumente. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verschob sich der Schwerpunkt der Textproduktion weg von den äußeren Formen hin zu den Wirkungen, die Aufsätze auf die Schreiber haben sollten. Um so zu schreiben wie Schriftsteller, sollten sich die Lernenden an literarischen Vorbildern orientieren. Die Nationalliteratur wurde Richtschnur für den Aufsatzunterricht. Die Reproduktion literaturähnlicher Texte wurde zum Ziel.
Aufsatzgattungen
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam im Zuge reformpädagogischer Bestrebungen der freie Aufsatz als Textsorte hinzu. Rudolf Hildebrand war einer der wichtigsten Vordenker dieses Ansatzes. Fortan sollten Schüler beim Verfassen von Aufsätzen nicht festen Vorgaben folgen, sondern selbständig das Thema und die Ausgestaltung der Texte übernehmen. Nach 1933 wurden drei Aufsatzformen favorisiert: der (Sach)-Bericht, die Schilderung und die Betrachtung in Form eines Besinnungsaufsatzes. Beim Besinnungsaufsatz ging es nicht mehr um die nüchterne Auseinandersetzung mit einer Sachfrage, sondern um deren Bewertung. Am Schluss eines Besinnungsaufsatzes stand daher eine Entscheidung für oder wider eine Sache. Im Besinnungsaufsatz spielte die argumentative Auseinandersetzung mit einem Thema kaum eine Rolle. Entscheidend war die persönliche Haltung dazu. Nach 1945 knüpfte man in der Bundesrepublik Deutschland im Wesentlichen an die aufsatzdidaktischen Konzeptionen von vor 1933 an. Hinzu kam als Aufsatzform der sog. sprachgestaltende Aufsatz: Erzählung, Schilderung, Betrachtung (subjektbezogen) sowie Bericht, Beschreibung und Erörterung (objektbezogen).
In der ehemaligen DDR war der Schulaufsatz bis gegen Ende der 1960er Jahre eingebettet in den Arbeitsbereich „Mündlicher und Schriftlicher Ausdruck“. Ziel war es, den Lernenden anhand von Mustertexten textsortenspezifische Merkmale zu vermitteln, die diese dann in eigenen Texten reproduzieren sollten.
Kommunikationsorientierung
In den frühen 1970er Jahren wurde in der Bundesrepublik Deutschland im Zuge der Kommunikativen Wende der kommunikative Aufsatz eingeführt. Diese Aufsatzform verfolgt das Ziel, Texte als Mittel zur Kommunikation zu verfassen und nicht, Texte zu schreiben, die nur dazu dienen, das Schreiben einer bestimmten Textsorte zu üben. Aufsätze sollten nicht mehr nur reine Schulformen sein, sondern in die außerschulische Wirklichkeit hineinwirken. Texte sollten im alltäglichen Leben von realen Lesern gelesen werden und nicht nur von Lehrern. Deshalb mussten sie auch so verfasst sein, dass Menschen außerhalb der Schule etwas mit ihnen anfangen konnten. Und schließlich sollte mit den Texten etwas bewirkt werden: die Lesenden sollten etwa eigene Haltungen aufgrund des gelesenen Textes überdenken und möglicherweise verändern. Auch in der DDR kam es in den 1970er Jahren ebenfalls zu einer verstärkten Hinwendung zur Kommunikationsorientierung. Allerdings ging es beim kommunikativen Aufsatz immer noch primär um den fertigen Text. Wie er zustande kommt, bleibt zweitrangig.
Schreibdidaktik und Schreibprozessorientierung
In den 1980er und 1990er Jahren wuchs die Kritik an den traditionellen Aufsatzformen und auch am kommunikativen Aufsatz, denn sie seien künstliche Textarten, die ausschließlich didaktische Funktionen hätten. Sie seien zudem reine Schulformen, die so in der außerschulischen Welt nicht vorkommen. Als Alternative bot sich das kreative Schreiben an, bei dem Schreibende ohne formale Zwänge Text produzieren können. Seine Prinzipien sind nach Kaspar H. Spinner: Imagination, d. h. die Aktivierung einer neuen Sichtweise oder neuer Vorstellungen, die Irritation, d. h. das Durchbrechen eingeschliffener Vorstellungsmuster und Routinen und die Expression, d. h. der Ausdruck von Subjektivität und Authentizität. Beim kreativen Schreibansatz rücken Schreibende und deren Texte ins Zentrum des Interesses.
Was im Schreibenden passiert, wenn er Texte verfasst, wurde nach 1980 in den Schreibprozessmodellen von Carl Bereiter und Marlene Scardamalia sowie von Linda S. Flower und John R. Hayes modellhaft dargestellt und seither kontinuierlich weiterentwickelt. Im Unterschied zur traditionellen Aufsatzdidaktik steht bei der aktuellen Schreibdidaktik nicht das fertige Textprodukt im Zentrum des Interesses, vielmehr wird der gesamte Schreibprozess der Schüler mit seinen Teilschritten Planen, Schreiben, Überarbeiten sowie das (Selbst-)Beurteilen von Texten fokussiert.
Traditionelle Aufsatzarten
- die Erörterung (argumentativ gestützte Stellungnahme zu einem Thema oder zu einer offenen Frage)
- der Bericht (Der Bericht informiert möglichst objektiv über einen Sachverhalt oder eine Handlung.)
- die Textinterpretation von fiktionalen Texten (z. B. die Gedichtinterpretation)
- die Bildinterpretation
- die Beschreibung von Bildern, Pflanzen, Tieren, Gegenständen (Beispiel: „Mein Fahrrad“) und Vorgängen
- die Inhaltsangabe von fiktionalen Texten oder Sachtexten
- die Nacherzählung von Texten oder Bildergeschichten
- die freie Erzählung anhand von Reizwörtern oder vorgegebenen Themen (Beispiel: „Ein Tag als Katze“ in Ich-Form)
- der Erlebnisbericht (Erlebniserzählung) über eigene Erlebnisse des Schülers (Beispiel: „Ein Tag am See.“)
- die Bildergeschichte, d. h., eine gezeichnete Geschichte mit einem Text versehen
- der sachliche und der private Brief
Literatur
- Bernhard Asmuth: Geschichte der Didaktik und Methodik des Schreib- und Aufsatzunterrichts. In: Hartmut Günther, Otto Ludwig (Hrsg.): Schrift und Schriftlichkeit. Ein internationales Handbuch internationaler Forschung. Halbband 2. De Gruyter, Berlin und New York 1996, S. 1277–1285, ISBN 3-11-014744-0.
- Bernhard Asmuth: Die Entwicklung des deutschen Schulaufsatzes aus der Rhetorik. In: Heinrich F. Plett (Hrsg.): Rhetorik. Kritische Positionen zum Stand der Forschung. Wilhelm Fink, München 1977, S. 276–292, ISBN 3-7705-1377-0.
- Oswald Beck (mit Nikolaus Hofen): Aufsatzunterricht Grundschule. Handbuch für Lehrende und Studierende. Schneider-Verl. Hohengehren, Baltmannsweiler 1990, ISBN 3-87116-449-6 (2. Aufl. 1993, ISBN 3-87116-461-5).
- Oswald Beck (mit Nikolaus Hofen): Aufsatzunterricht Grundschule konkret. Unterrichtshilfen für die Praxis. Schneider-Verl. Hohengehren, Baltmannsweiler 1993, ISBN 3-87116-462-3 (3. Aufl. 2003, ISBN 3-89676-627-9).
- Bereiter, Carl / Scardamalia, Marlene: Wissen-Wiedergeben als ein Modell für das Schreiben von Instruktionen durch ungeübte Schreiber. In: Unterrichtswissenschaft 13 (1985) 4, S. 319–333. (Wissen-Wiedergeben als ein Modell für das Schreiben von Instruktionen durch ungeübte Schreiber)
- Birgit Lahann (Hrsg.): Abitur. Von Duckmäusern und Rebellen. 150 Jahre Zeitgeschichte in Aufsätzen prominenter Deutscher. Gruner und Jahr, Hamburg 1982, ISBN 3-570-07025-5.
- Martin Lott: Aufsatz. Bewertung – Beurteilung – Kritik. (= Schriftenreihe EUB, Erziehung – Unterricht – Bildung; Bd. 43). Kovač, Hamburg 1996, ISBN 3-86064-438-6.
- Otto Ludwig: Fritz Rahn und der Besinnungsaufsatz. Zur Herkunft und Bedeutung einer Aufsatztheorie. In: Eduard Haueis (Hrsg.): Produktion schriftlicher Texte (= Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie, Bd. 36). OBST, Bremen 1987, S. 61–80, ISBN 3-924110-34-4.
- Otto Ludwig: Der Schulaufsatz. Seine Geschichte in Deutschland. De Gruyter, Berlin und New York 1988, ISBN 3-11-011603-0.
- Hans Lösener, Otto Ludwig: Geschichte des Schulaufsatzes in Beispielen. Ein Arbeitsbuch. Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler 2007, ISBN 978-3-8340-0320-1.
- Eduard Spranger: Unser Schulaufsatz – ein verkappter Schundliterat? In: Pädagogisches Archiv 53 (1911) 5, S. 279–284 (Digitalisat)
- G. Wenz: Aufsatz und Aufsatzunterricht. In: Lexikon der Pädagogik der Gegenwart. Herder, Freiburg im Breisgau 1930, Sp. 141–144 (Digitalisat)
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