Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande ist eine 1786 erstmals erschienene Sammlung fantastischer Anekdoten und Lügengeschichten, die der historischen Persönlichkeit Baron Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen von mehreren Autoren angedichtet wurden. Der vollständige Titel der anonym publizierten Originalausgabe lautete: Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande, Feldzüge und lustige Abentheuer des Freyherrn von Münchhausen, wie er dieselben bey der Flasche im Zirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt.
Die Sammlung wird heutzutage unter dem prägnanteren Titel Die Abenteuer des Baron/Freiherrn Münchhausen verkauft und allein dem Autor Gottfried August Bürger zugeordnet. Dabei hatte Bürger lediglich die vorliegende Geschichtensammlung Baron Munchausen’s Narrative of his Marvellous Travels and Campaigns in Russia von Rudolf Erich Raspe aus dem Vorjahr ins Deutsche übersetzt und durch eigene Anekdoten erweitert.
Hintergrund
Einige der ersten Anekdoten, die dem Lügenbaron Münchhausen zugeschrieben werden, veröffentlichte der dänische Diplomat Rochus Friedrich zu Lynar im Jahr 1761. In seiner moralischen Schrift Der Sonderling, die ursprünglich zur Erbauung seiner Untergebenen gedacht war, verurteilte er reißerische Lügen und schilderte als Beispiel drei zusammenhängende Jagdanekdoten, die später auch in Bürgers Wunderbaren Reisen zu Wasser und Lande auftauchen:
„Je weniger Verstand der Erfinder hat, oder je weniger er dem andern zutrauet, desto gröber wird die Lüge. Die löbliche Jägerey ist darinn besonders fruchtbar. Ein gewisser Liebhaber derselben versicherte, und schwohr dazu, daß in dem brabantischen Kriege er, weil es bey Tage zu gefährlich gewesen, des Nachts auf die Rebhühner-Jagd gegangen, seinem Hunde eine Laterne an den Schwanz gebunden, und ihn solcher gestalt vor sich revieren lassen, bis er gestanden; da er sich dann hinangeschlichen, und, bey dem Scheine der Laterne, die auffliegenden Hühner bey Dutzenden herunter geschossen. Aus Versehen war einmal der Lade-Stock in der Flinte stecken geblieben; Nichtsdestoweniger lief der Schuß so glücklich ab, das zwanzig Crammets-Vögel, welche in einer Reyhe auf dem Aste eines Baumes sassen, dadurch gespieset wurden, und sämtlich herunter fielen. Ein andermal hetzte er mit einem trächtigen Windspiele einen Satz Haasen. Durch die Bewegung ward die Gebuhrt befördert; Die Hindin warf, die Häsin setzte, beide in vollem Laufe, und zum Beweise, wie den Thieren dergleichen in die Natur gepflanzet sey, so verfolgen in dem Augenblicke die jungen Hunde die jungen Haasen, und die Jagd ward allgemein. Mit solchen fabelhaften Erzählungen verletzt einer die Achtung, so er der menschlichen Gesellschaft schuldig ist.“
Die Berliner Satirezeitschrift Vade Mecum für lustige Leute des Verlegers August Mylius veröffentlichte 1781 einige sogenannte M–h–s–nsche Geschichten. Der Autor der Anekdoten blieb anonym, der Protagonist wurde im Eingangssatz so vorgestellt: „Es lebt ein sehr witziger Kopf, Herr von M–h–s–n im H–schen [Münchhausen im Hannoverschen], der eine eigne Art sinnreicher Geschichten aufgebracht hat, die nach seinem Namen benannt wird, obgleich nicht alle einzelne Geschichten von ihm seyn mögen.“ Unter den 16 Geschichten befanden sich neben der oben geschilderten Anekdote vom während der Jagd gebärenden Windhund (10) bereits Klassiker wie die Geschichte vom Pferd an der Kirchturmspitze (2), vom Hirsch mit dem Kirschgeweih (7), vom halbierten Pferd (8), von der Reise zum Mond (14) und vom tollwütigen Winterpelz (15). Im Jahr 1783 veröffentlichte das Vademecum für lustige Leute „Noch zwey M–Lügen“, darunter die vom eingefrorenen Posthorn.
Der deutsche Bibliothekar Rudolf Erich Raspe veröffentlichte 1785 in seinem Londoner Exil das Buch Baron Munchausen’s Narrative of his Marvellous Travels and Campaigns in Russia, das wiederum Gottfried August Bürger als Vorlage diente. Bei Raspe kommt die Verfolgung des gebärenden Hasen durch einen gebärenden Windhund ebenfalls vor:
“Whilst a greyhound—I must observe she was a bitch—She coursed one day a hare, which appeared to me uncommonly big. I pitied my poor bitch, she was big with pups, yet she would course as fast as ever. I could follow her on horseback only at a great distance. At once I heard a cry as it were of a pack of hounds—but so weak and faint, that I hardly knew what to make of it. Coming up at last, I was greatly surprised. The hare had littered in running; the same had happened to my bitch in coursing—and there were just as many leverets as pups. By instinct the former run, the latter coursed, and thus, I found myself in possession at once of six hares, and as many dogs, at the the end of a course, which had only begun with one.”
Bürger übersetzte das Buch aus dem Englischen ins Deutsche und fügte eigene Anekdoten hinzu. Bürgers Sammlung wurde 1786 ohne Autorennennung und unter dem Titel Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande, Feldzüge und lustige Abentheuer des Freyherrn von Münchhausen, wie er dieselben bey der Flasche im Zirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt veröffentlicht.
Inhalt
Der historisch verbürgte Baron Hieronymus von Münchhausen diente ab seinem 13. Lebensjahr als Page am Hof des Herzogs von Braunschweig-Wolfenbüttel. Im Alter von 17 Jahren folgte Münchhausen seinem Dienstherrn Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, einem Bruder des Herzogs, nach Russland. Anton Ulrich war auserkoren, eine Nichte der russischen Zarin zu heiraten, und befehligte darum das in Riga stationierte Russische Kürassierregiment. Es ist historisch nachgewiesen, dass Münchhausen von Niedersachsen kommend über Riga nach Sankt Petersburg reiste. Die Geschichte setzt an diesem Zeitpunkt in Form einer zeitgenössischen Reisebeschreibung ein:
„Ich trat meine Reise nach Rußland von Haus ab mitten im Winter an, weil ich ganz richtig schloss, daß Frost und Schnee die Wege durch die nördlichen Gegenden von Deutschland, Polen, Kur- und Livland (…) ausbessern müßten.“
Das Buch ist in drei qualitativ und quantitativ unterschiedliche Teile gegliedert, was als Hinweis auf die Mitarbeit verschiedener Autoren gelten kann: Des Freiherrn von Münchhausen eigene Erzählung, Des Freiherrn von Münchhausen Seeabenteuer und Reise durch die Welt nebst andern merkwürdigen Abenteuern. Der erste Teil ist weniger eine zusammenhängende Handlung als vielmehr eine Aneinanderreihung von Anekdoten zu den Themen Russlandreise, Jagdglück und Kriegsgeschehen.
1. Kapitel: Reise nach Rußland und St. Petersburg
- Der Freiherr von Münchhausen reist mitten im Winter nach Russland.
- In Polen spendet Münchhausen seinen Reisemantel einem armen, frierenden Manne, woraufhin sich Gott wie einst Schelmuffsky fluchend meldet („Hol’ mich der Teufel…“).
- Münchhausen bindet sein Pferd im Schnee an eine Kirchturmspitze.
- Münchhausen fährt „in Estland oder in Ingermanland“ mit einem Pferdeschlitten, als ein Wolf sein Pferd von hinten angreift, ganz auffrisst und dann im Geschirr steckend die Aufgabe des Pferdes übernimmt. Mit dieser Art Hundeschlitten trifft Münchhausen in Sankt Petersburg ein.
- Auf einer Petersburger Gesellschaft beobachtet Münchhausen einen alten General, der mehrere Flaschen Weinbrandwein und Arrak trinken kann, ohne betrunken zu werden; der Alkohol verdunstet über eine Kopfverletzung. Zur Belustigung aller Anwesenden entzündet Münchhausen die brennbaren Ausdünstungen.
2. Kapitel: Jagdgeschichten
- Münchhausen bedient sich seiner Augen statt des Flintensteines und erlegt auf einen Schuss fünf Paar wilde Enten und verschiedenes anderes Geflügel.
- Münchhausen fängt wilde Enten mit an eine Leine gebundenen Speckstückchen und reist durch die Luft.
- Münchhausen schießt mehrere Hühner auf einmal mit dem Ladestock.
- Münchhausen peitscht (karbatscht) einen Fuchs aus seinem Pelz.
- Der Baron schießt mit Kirschkernen auf einen Hirsch, woraufhin auf dessen Kopf ein Baum entsprießt.
- Münchhausen holt sein in den Schnee gefallenes Messer mittels eines gefrorenen Harnstrahls zu sich herauf.
- Münchhausen fasst einem Wolf in den Schlund und wendet dessen Inneres nach außen.
- Münchhausen wird in St. Petersburg von einem tollwütigen Hund angefallen, der sich in seinen Überrock verbeißt. Der Überrock wird ebenfalls toll und geht auf seinen Besitzer los.
3. Kapitel: Von Hunden und Pferden des Freiherrn von Münchhausen
- Münchhausen jagt einen achtbeinigen Hasen.
- Sein Windspiel läuft sich die Beine ab und wirft Junge, während es einen gebärenden Hasen jagt.
- Münchhausen zähmt auf dem „Landsitz des Grafen Przobofsky in Litauen“ ein wild gewordenes Pferd, springt mit ihm durch ein offenes Fenster und reitet auf einem gedeckten Teetisch, ohne das Geschirr zu zerbrechen.
4. Kapitel: Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen im Kriege gegen die Türken
- Münchhausens Pferd wird durch ein Torgatter zweigeteilt. Während der Baron unwissend mit der vorderen Hälfte zur Tränke reitet, vergnügt sich die hintere auf der Wiese mit Stuten. Ein Kurschmied verbindet beide Hälften mit Lorbeer.
- Münchhausen fliegt auf einer Kanonenkugel reitend über eine belagerte Stadt und steigt kurzerhand auf eine in die Gegenrichtung fliegende Kugel um.
- Münchhausen zieht sich samt Pferd am eigenen Schopf aus dem Sumpf.
5: Kapitel: Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen während seiner Gefangenschaft bei den Türken
- Münchhausen wirft seine silberne Axt so weit, dass sie auf dem Mond landet. Mittels einer Bohnenranke steigt er hinauf, um sie zu holen.
- An einem kalten Wintertag gefrieren die Töne im Posthorn eines Kutschers. Später taut das Horn in der Schenke auf und gibt die Töne von sich.
Rezeption
Besondere Popularität erreichte in weiten Kreisen die Szene aus dem vierten Kapitel, in der Münchhausen sich selbst mitsamt seines Pferdes am Zopf seiner Perücke aus dem Sumpf zieht:
„Ein andres Mal wollte ich über einen Morast setzen, der mir anfänglich nicht so breit vorkam, als ich ihn fand, da ich mitten im Sprunge war. Schwebend in der Luft wendete ich daher wieder um, wo ich hergekommen war, um einen größern Anlauf zu nehmen. Gleichwohl sprang ich auch zum zweiten Male noch zu kurz und fiel nicht weit vom andern Ufer bis an den Hals in den Morast. Hier hätte ich unfehlbar umkommen müssen, wenn nicht die Stärke meines eigenen Armes mich an meinem eigenen Haarzopfe, samt dem Pferde, welches ich fest zwischen meine Knie schloß, wieder herausgezogen hätte.“
Eine philosophische Verwendung des Bildes findet sich unter anderem in Schopenhauers Schrift Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde und in Nietzsches Werk Jenseits von Gut und Böse. Der Philosoph Hans Albert formulierte darauf aufbauend das Münchhausen-Trilemma.
Der Psychotherapeut und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick sah das Bild des „Sich-Hochziehens-an-sich-selbst“ als das eigentliche Wesen wirksamer Therapien. Der Leidende schafft es, „sei es spontan oder durch Therapie“, den „scheinbar allumfassenden Rahmen seiner Wirklichkeit zu verlassen“ und sich selbst aus einer paradoxen oder aussichtslosen Situation zu befreien.
Ausgaben
Vorläufer
- Rochus Friedrich zu Lynar: Der Sonderling. J.C. Richter, Hannover 1761 (Google Books).
- M–h–s–nsche Geschichten. In: Vade Mecum für lustige Leute, Theil 8 (Berlin 1781), Nr. 175, S. 92–101; Theil 9 (Berlin 1783), Nr. 106, S. 76–79 (Wikisource).
- Rudolf Erich Raspe: Baron Munchausen’s Narrative of his Marvellous Travels and Campaigns in Russia. Oxford 1786 (Google Books).
Eigentliche
- Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande, Feldzüge und lustige Abentheuer des Freyherrn von Münchhausen, wie er dieselben bey der Flasche im Zirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt. Aus dem Englischen nach der neuesten Ausgabe übersetzt, hier und da erweitert und mit noch mehr Kupfern gezieret. London [recte: Göttingen] 1786.
- Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande… 2., vermehrte Ausgabe. London [recte: Göttingen] 1788.
- Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande… Mit den Holzschnitten von Gustave Doré. Insel-Verlag, Leipzig 1923 (Internet Archive).
- Die Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2008.
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