Die Belagerung Venedigs durch Ungarn erfolgte um das Jahr 899. Dem Dogen Petrus Tribunus wird die Abwehr dieses Plünderzuges der Magyaren zugeschrieben, die um 898–900 auf Pferden nach Italien vorgedrungen waren. Diese hatten sich im heutigen Ungarn wenige Jahre zuvor angesiedelt und plünderten danach mehrere Jahrzehnte lang weite Gebiete Europas (Ungarneinfälle). Bei ihrem Italienzug zerstörten sie eine Reihe von Orten rund um die Lagune von Venedig, wurden jedoch von Venedigs Flotte unter der Führung des Dogen besiegt, womit sie überhaupt zum ersten Mal einer Gegenmacht militärisch unterlagen. Vom byzantinischen Kaiser erhielt der Doge dafür einen der höchsten Ehrentitel. Der Aufbau einer umfangreichen Stadtbefestigung erfolgte in diesem Zusammenhang; auch versperrte eine Kette die Zufahrt zum Canal Grande.
Verteidigungsmaßnahmen, Zerstörung der Lagunenorte, Sieg der Flotte
Der Doge organisierte die Verteidigung Venedigs und der umliegenden Lagunensiedlungen frühzeitig gegen eine Invasion ungarischer Schiffe. Venedig war nur eines der Ziele der Invasoren, die in weiten Teilen Europas ihre Raubzüge durchführten. Nach Gina Fasoli erfolgte der hier im Mittelpunkt stehende Raubzug gegen Norditalien in den Jahren 898 bis 900.
Der Doge ließ, wie Johannes Diaconus in seiner etwas mehr als ein Jahrhundert später verfassten Istoria Veneticorum ausdrücklich schreibt, im „anno sui ducatus nono“, im ‚9. Jahr seiner Dogenherrschaft‘ (ed. Monticolo, S. 131), eine Mauer zur Abwehr der „Ungrorum pagana et crudelissima gens“ errichten. Diese Mauer reichte von Santa Maria Zobenigo bis Castello (Olivolo). Darüber hinaus wurde der Canal Grande durch eine Kette für Schiffe unpassierbar gemacht. In der Istoria Veneticorum klingen dabei zwei Erklärungsmuster für das Verhalten der Invasoren an, die sich über Jahrhunderte wiederholten, und die auch auf andere Invasoren übertragen wurden, die Ungarn waren nach dem Chronisten eine ‚heidnische und überaus grausame gens‘.
Diese Ungarn, die mit Feuer und Raub bereits Oberitalien entvölkert hatten, drangen entlang des Westrands der Lagune von Venedig südwärts bis nach Chioggia alles zerstörend vor. Dann zogen sie plündernd nach Metamaucum und Pellestrina auf dem Lido; wie Johannes Diaconus (ed. Monticolo, S. 130) schreibt: „primo Civitatem novam fugiente populo igne concremaverunt, deinde Equilum, Finem, Cloiam, Caputargelem incenderunt litoraque maris depopolaverunt“. Sie brannten also zuerst Cittanova nieder, dann Equilio, Fine, Chioggia, Cavarzere nieder. Die Bevölkerung floh demnach vor den Invasoren, die erst im Juni bei Albiola von der venezianischen Flotte unter Führung des „Petrus dux“ aufgehalten und zurückgeschlagen wurden.
Der byzantinische Kaiser Leo der Weise ehrte den Dogen wegen des Abwehrerfolges im folgenden Jahr mit dem Titel eines Protospatharios. Im Februar 900 berief Tribunus ein Placitum ein, während dessen das Kloster Santo Stefano di Altino Exemtionen erhielt – mit Verweis auf Schäden durch die Ungarn. König Berengar von Friaul, der gegen die Ungarn bereits 15.000 Mann verloren haben soll, wie der Chronist schreibt, konnte sie mit „obsidibus ac donis“ zum Abzug aus Italien bewegen, wobei sie ihre gesamte Beute mitführten.
Schließlich scheiterte der Angriff der Ungarn nach der Istoria Veneticorum also an derselben Stelle, wie der fast ein Jahrhundert zurückliegende Angriff König Pippins, des Sohnes Karls des Großen. Dies stellte nicht nur eine Parallelisierung der beiden Angriffe dar, sondern noch eine Steigerung im Sinne der Verteidigung des Christentums gegen die grausamen Heiden aus dem Osten. Ebenso stellte dieser Erfolg eine weitere Bestätigung für die Richtigkeit der nach Pippins Angriff erfolgten Verlagerung der Residenz des Dogen von Metamaucum (um 810), das bei beiden Angriffen zerstört wurde, nach Rialto dar. Nur dort, mitten in der Lagune, war Venedigs Sicherheit gewährleistet, so lautete die Schlussfolgerung.
Rezeption
Bis gegen Ende der Republik Venedig
Für das Venedig zur Zeit des Dogen Andrea Dandolo war die Deutung, die man der langen Herrschaft Piero Tribunos gab, in mehrererlei Hinsicht von symbolischer Bedeutung. Das Augenmerk der Mitte des 14. Jahrhunderts längst fest etablierten politischen Führungsgremien, die vor allem seit dem Dogen Andrea Dandolo die Geschichtsschreibung steuerten, galt den Fragen nach der politischen Unabhängigkeit zwischen den Kaiserreichen, des Rechts aus eigener Wurzel, mithin der Herleitung und Legitimation ihres territorialen Anspruchs, vor allem auf die Herrschaft über die Adria. Gegen die Ungarn war Venedig sogar das einzige Staatswesen, dem eine militärische Abwehr gelang, mehr als 50 Jahre vor der Schlacht auf dem Lechfeld. Zudem bereitete sich Venedig durch den Bau einer Mauer und die Schaffung einer Sperrkette für den Canal Grande auf Angriffe vor, was in scharfem Gegensatz zu Dandolos Venedig des 14. Jahrhunderts stand, das als einzige Stadt ohne Stadtmauer auskam.
Die älteste volkssprachliche Chronik, die Cronica di Venexia detta di Enrico Dandolo, schildert den Ungarnangriff auf Italien und Venedig mit einigen Abweichungen. Auch für diesen Chronisten waren die Ungarn „giente perfida et incredulla“. Während jedoch hier König Berengar I. angesichts der ungarischen Macht „volse le spalle“, er der Invasion also gleichgültig zusah und ‚die Achseln zuckte‘, und die Invasoren im Gebiet von Istrien und Treviso jede Stadt zerstörten, sowie Eracliana niederbrannten – hier vermerkt die Chronik ausdrücklich, dass die Stadt nach ihrem Wiederaufbau den Namen „Citanova“ erhielt –, dann „Cloça“ (Chioggia) am Südrand der Lagune eroberten. Weiter zogen sie nach „Malamocco“ (Metamaucum), und, wenn sie es gekonnt hätten, nach „Venesia“. Vor der venezianischen Flotte unter Führung des „Duxe“, des Dogen also, wichen sie jedoch aus und zogen weiter in die Lombardei, wo sie alle „contrade“ zerstörten. Nur mit viel Geld – „grande moneda“ – konnte Berengar sie zum Abzug aus Italien bewegen. Auch berichtet die Chronik von der besagten Mauer und der Kette, die den Canal Grande sperren konnte, wobei erstere von „Castello fino a Sancta Maria Zobenigo“ reichte, letztere über den Canal Grande nach „San Griguol“. Vom „imperadore“, dem Kaiser, erhielt der Doge „grande honor“.
Mit weiteren Abweichungen berichtet Pietro Marcello 1502 in seinem später ins Volgare unter dem Titel Vite de’prencipi di Vinegia übersetzten Werk. Er nennt gleichfalls die Mauer und die Kette zur Abwehr der Invasoren. Er bezeichnet die Ungarn als „Gli Vnni popoli di Scitia“ – womit auf die antike Tradition zurückgegriffen wurde, alle Völker des nomadischen Ostens als ‚Hunnen‘ zu bezeichnen, den Osten selbst als ‚Skythien‘. Diese berittenen Invasoren waren „huomini tanto crudeli, che mangiavano anche carne humana“, sie waren also ‚so grausame Menschen, dass sie auch Menschenfleisch aßen.‘ Nach Marcello eroberten sie zahlreiche Städte und ihre Erfolge machten sie überheblich, so dass sie nun auch den Staat der Venezianer zerstören wollten. Dabei war für ihn „Vinegia“ nicht mehr die Lagune insgesamt, sondern Rialto, das die Ungarn nun attackieren wollten. Die Venezianer wiederum kämpften um ihr bloßes Leben, es kam zu einer mehrtägigen Schlacht an verschiedenen Orten, die Ungarn zogen schließlich ab. Nachdem sie auch bei Marcello „alcuni doni“, ‚einige Geschenke‘, von Berengar erhalten hatten, verließen sie Italien.
Gian Giacomo Caroldos Historie venete dal principio della città fino all’anno 1382 erzählen, der neue Doge habe im neunten Jahr seiner Herrschaft, demnach im Jahr 897, eine Mauer errichten lassen, die vom „Rio di Castello sin’alla Chiesa di Santa Maria Giubanico“ reichte – gemeint ist Santa Maria Zobenigo –, dazu ließ er „fine del muro una grossa catena che traversava il canale alla Chiesa di San Gregorio, acciò non potesse penetrar nella Città alcuno navilio“ – er ließ also vom Ende der Mauer eine schwere Kette über den Kanal bei der Kirche San Gregorio anbringen – gemeint ist San Giorgio Maggiore –, damit kein Schiff in die Stadt eindringen könne. Die Ungarninvasion erfolgte bei ihm ausdrücklich auf Pferden und in ledernen Booten („barche di cuoio“). Die Invasoren brannten, wie bereits bekannt, „Citta Nova“ nieder, dann folgten „Equilio, Chioza et Cavarzere“. Schließlich versuchten sie über Albiola und „Malamocco“ nach Rialto zu gelangen. Doch unter Führung des Dogen griffen die Venezianer mit zahlreichen Schiffen und Booten („navilij et barche“) die Invasoren an, so dass diese ‚am Tag des hl. Petrus‘ flohen und sich zerstreuten.
In der 1574 erschienenen Chronica das ist Warhaffte eigentliche vnd kurtze Beschreibung, aller Hertzogen zu Venedig Leben des Frankfurter Juristen Heinrich Kellner, die auf Marcello aufbauend die venezianische Chronistik im deutschen Sprachraum bekannt machte, berichtet der Autor, der Doge – wegen der „Seeräuber oder Meerräuber“ – „ließ er ein Mauwer auffführen/ zur befestigung der Statt/ vom Schloß Canal biß zu S.Maria Giubenico/ und zuvorkommen der unversehenen eynfellen der Feinde ward ein Ketten gezogen/ von der obgemeldeten Mauwren biß zu S.Georg“. Dann setzt Kellner fort, dass „etliche Völcker aus Scitia/Hunni genannt/grausame tyrannische Leut / die auch Menschenfleisch assen / uberfielen Italien mit grosser ungestüme.“ Ihre Schlachtensiege machten sie „stoltz und auffgeblasen“, sie plünderten Friaul und wollten auch Venedig „zerstören“. Sie „hatten derwegen etliche Schifflein gesamlet/ir Volck uberzuführen / unnd griffen die Neuwstatt an / welche zuvor Heraclea genennt ward.“ Diese Stadt brannten sie nieder, ebenso wie „Equilo und Jesolo“ und „machten Chiogia und Capo d argere auch zu Eschen“. Dann rüsteten sie sich für den Angriff auf Venedig. Angesichts solcher „rohen wilden Leute“ wussten die Venezianer, dass es um ihr Überleben ging. Sie zogen den ‚Barbaren‘ auf „gar leichten kleinen Schifflein“ entgegen, als diese Rialto angreifen wollten, und es wurde „etliche tag gekämpfft“. Als die Angreifer „müde und lassz“ wurden, mussten sie fliehen und „liessen den Venetianern ein lobwirdige grosse Victorien und Sieg.“ Berengar konnte sie schließlich mit „Geschencken“ zum Abzug aus Italien bewegen.
In der Übersetzung von Alessandro Maria Vianolis Historia Veneta, die 1686 in Nürnberg unter dem Titel Der Venetianischen Hertzogen Leben / Regierung, und Absterben / Von dem Ersten Paulutio Anafesto an / biss auf den itzt-regierenden Marcum Antonium Justiniani erschien, wird berichtet: „Unter seiner Regierung ist der Stadt eine andere grosse Furcht und Schrecken eingejaget worden ; sintemalen die Hunnen zum andernmal in Italien gekommen“. Auch bei Vianoli wurden die Ungarn, die er, was üblich war, als „Hunnen“ bezeichnet, „übermüthig“, so dass sie sich „unterstanden / das Venedische Gebiet zu zerstören und zu verderben“. Sie brannten Eraclea und Jesolo, „Chiozza und Capo d’Argere“ nieder „und allbereits di Insul Rialto auf gleiche Weise zu tractiren in denen Gedancken bey sich entschlossen gehabt“. Im Gegensatz zu anderen Autoren geschah der Mauerbau und die Aufhängung einer Kette über den Canal Grande erst jetzt, und außerdem erhielten nun auch andere Kanäle eine solche Kette. Zudem griffen die Venezianer mit „gar kleinen und leichten Schifflein“ an. Zwei Tage lang wurde gekämpft, bis die Ungarn abzogen und noch Geschenke von Berengar mitnahmen.
1687 schrieb Jacob von Sandrart in seinem Werk Kurtze und vermehrte Beschreibung Von Dem Ursprung / Aufnehmen / Gebiete / und Regierung der Weltberühmten Republick Venedig lakonisch: „… ward Im Jahr 888. zum (XVI.) Hertzog erwehlet Petrus Tribunus, welcher die Stadt Venedig mit Mauren befestigte/wo es schien nöthig zu seyn.“ Es „fielen nicht allein Berengarius und Guido in Italien von den Francken ab; sondern es thaten auch die Ungarn im Lande grossen Schaden/ drungen fort biß auf Meyland zu“ (S. 21 f.). „So geriethen sie auch über Venedig / rüsteten geschwind nothdürfftige Schiffe zu/brachen daselbst ein/ und plünderten ein zimlich Theil der Stadt“.
Historisch-kritische Darstellungen
Nach Johann Friedrich LeBret, der ab 1769 seine vierbändige Staatsgeschichte der Republik Venedig publizierte, war es derselbe Doge, der „sorgete für die innere Sicherheit der Stadt, und ihre Befestigung wider die Einfälle der Seeräuber“. Er begründet dessen Handeln jedoch anders: „Weil das griechische Reich zu ohnmächtig war“ wurde der Schutz der Adria zur Aufgabe der venezianischen Dogen, denen „die griechischen Kaiser gemeiniglich die Würde eines Protospatharien übertrugen.“ Für LeBret war die Uneinigkeit der Franken die Ursache für die Einfälle „der fremden Völker“. „Peter Tribun ließ Olivolo befestigen, welches daher den Namen Castello erhielt“. Von der Mauer wurden nach LeBret „hin und wieder Spuren gefunden“. Und manche Autoren, so LeBret, setzen die Geburt Venedigs in diese Zeit, da die Stadt vorher aus verstreuten Siedlungen bestanden habe. Die Ungarn verglich der Verfasser mit den Hunnen der Spätantike: „Diejenigen Völker, die sich über den oberen Theil von Italien ausbreiteten, waren würdige Söhne ihrer wilden Väter, die sich in Pannonien niedergelassen hatten.“ Sie besiegten das 15.000-Mann-Heer des Berengarius an „der Brenta“, und nun reizte sie der Reichtum Venedigs. „Sie nahmen eben den Weg, welchen Pippin genommen hatte“. Aus Eraclea waren die Bewohner nach Venedig geflohen, ebenso aus den anderen zerstörten Städten, was der Stadt nun einen besonderen Wert verlieh. An „Peter und Paul“ kam es zur Schlacht, der Doge wurde zum „Erretter seines Vatterlandes“. Nach LeBret schickte der Doge Bogenschützen und Schiffe an Berengar, um die Flussübergänge zu blockieren.
Ähnlich ausführlich schildert Samuele Romanin 1853 im ersten der zehn Bände seiner Storia documentata di Venezia zunächst die Machtkämpfe im Karolingerreich. Die Ungarn, so glaubt er, habe bereits Karl der Große gezähmt („domi da Carlo Magno“), seien aber dann von Arnolf von Kärnten gegen Mähren gerufen worden. In ihrer Wildheit glichen sie Slawen, Sarazenen und Normannen. Nach Romanin zogen die Ungarn, auch bei ihm auf die Hunnen zurückzuführen, im April 900 durchs Friaul. Berengar, der kaum den Namen dieses Volkes gekannt habe, zwang die Ungarn zunächst zur Flucht, unterlag jedoch, nachdem er ein Friedensangebot ausgeschlagen hatte, ‚an der Brenta‘. Auf dem Weg nach Mailand hörten die Ungarn vom Reichtum Venedigs (ein Topos, der inzwischen etabliert war), das außerdem bei ihrem Zug noch nicht ausgeplündert worden war. Nun baute man in Venedig alte Kastelle aus, wie Brondolo im äußersten Süden der Lagune (heute in Sottomarina), ein neues entstand als Torre delle Bebbe, weitere in Caorle und Bibione. Die Mauer um Olivolo erstreckte sich weiter westwärts entlang der Riva degli Schiavoni. Ähnlich wie LeBret sieht auch Romanin eine Parallele zum Vorgehen Pippins. Ein Ort bei Mestre trug laut Romanin lange den Namen Campo degli Ungari, eine Straße nicht weit von Piove di Sacco trug den Namen Via degli Ungari (S. 213). Deren Boote bestanden aus Leder und Korbgeflecht, doch nach einem Jahr mussten sie aufgeben. Romanin zitiert aus einer Chronik namens Barbara König Berengar, der dem Dogen zum Sieg gratulierte und ihn „conservatore della pubblica libertà ed espulsore dei Barbari“ genannt haben soll, also ‚Retter der Freiheit und Vertreiber der Barbaren‘.
August Friedrich Gfrörer († 1861) nimmt in seiner, erst 1872 erschienenen Geschichte Venedigs von seiner Gründung bis zum Jahre 1084 an, dass Byzanz nach wie vor größten Einfluss in der Lagune ausgeübt habe, und dass es dort eine pro-fränkische und eine pro-byzantinische Partei gab, die innerhalb der Lagune in bestimmten Orten dominierten. Der Bau der Stadtbefestigung gegen die Ungarn, die ab 896 in Pannonien siedelten, begann bereits ein Jahr später. Dabei zitiert Gfrörer aus der Chronik des Andrea Dandolo. Nach Gfrörer fand der Angriff der Ungarn jedoch erst 906 statt (S. 219), die entscheidende Schlacht am 29. Juni 906, am „Peter und Paulsfeste“.
Pietro Pinton übersetzte und annotierte Gfrörers Werk im Archivio Veneto in den Jahresbänden XII bis XVI. Pintons eigene Darstellung, die jedoch erst 1883 erschien – gleichfalls im Archivio Veneto –, gelangte zu stark abweichenden, weniger spekulativen Ergebnissen, als Gfrörer. Für Pinton war es nicht die Anlehnung zweier verfeindeter Fraktionen an eines der beiden Kaiserreiche, sondern vielmehr der Kampf gegen die Ungarn, der Kaiser Leo dazu veranlasste, dem Dogen den Titel eines Protospatharios zu verleihen. Diese Reihenfolge jedenfalls berichtet Johannes Diaconus, während bei Andrea Dandolo diese Titelverleihung bereits nach der Amtseinsetzung erfolgt sei.
Schon 1861 hatte Francesco Zanotto in seinem Il Palazzo ducale di Venezia berichtet, dass der Doge die Stadt habe befestigen lassen. Auch um den Dogenpalast, den Markusdom und den Markusplatz bestanden nach Zanotto Mauern. Bei ihm kamen die Ungarn in Booten, die sie auf ihrem Weg erbeutet hatten, die aber dennoch aus Korbgeflecht und Leder bestanden.
Für Emmanuele Antonio Cicogna waren die Invasoren „Tartari, Ugri“, gegen die der Doge Anfang 900 die besagten Mauern erbauen ließ; nachts wurde jene Kette hochgezogen. Die Angreifer ‚folgten dem Beispiel Pippins‘, wurden jedoch so geschlagen, dass sie es nie wieder wagten, die Lagune anzugreifen, auch wenn sie andernorts noch lange alljährlich ihre Plünderzüge durchführten. Der ‚Sieg von Albiola‘ war nach Cicogna einer der bedeutendsten der Venezianer.
Heinrich Kretschmayr skizzierte die Epoche als vollkommen chaotisch. Nach ihm versagten alle Ordnungen, während über das „innerlich zerrissene und verkommene Land die Magyarennot hereinbrach.“ Hingegen „konnte Venedig sich eines, wenigstens nach außen, fast ungebrochenen Friedens erfreuen“. Tribunus galt als „eigentlicher Stadtgründer“, Chioggias Grenzen gegen Loreo und Cavarzere wurden abgesteckt. Doch in Booten aus Tierhäuten erschienen die „Magyaren“ und wurden – wie Kretschmayr anmerkt vielleicht eine Verwechslung mit dem Schlachtenort Pippins von 810 – bei Albiola besiegt.
In seiner History of Venice betont John Julius Norwich zunächst die Verträge mit den italienischen Königen von 888 und 891, Abmachungen, die schon 883 erneuert worden waren. Venedig, so Norwich, konnte nur so verhindern, in eines der beiden Kaiserreiche ‚aufgesaugt‘ zu werden. Das letzte Jahrzehnt des 9. Jahrhunderts galt Norwich als das für Venedig „happiest and most prosperous of all“. Dann folgte 899 eine Krise durch die Ungarn, die einige Chronisten für Kannibalen hielten, „which, on occasion, they may well have been“, wie Norwich spekuliert. Doch ihre Niederlage in ihren „portable coracles“ war angeblich „quick and complete“. Um weitere Invasionen von womöglich besser ausgestatteten Völkern zu verhindern, erbaute Venedig nun erst seine Festungswerke, also nach dem Abwehrerfolg. Wie Johannes Diaconus schon ein Jahrhundert nach diesen Ereignissen festgestellt habe, wurde Venedig nun erst eine „civitas“. Ansonsten gibt der Autor seiner Hoffnung Ausdruck, dass die „authorities“ mit den zerbröckelnden Überresten der Mauer, die sich am südlichen Ende des Rio dell'Arsenale gefunden hätten, so respektvoll umgehen würden, wie sie es verdient hätten. Dieser Rio (Kanal) befindet sich südlich des Arsenals im Osten der Stadt.
Quellen
- La cronaca veneziana del diacono Giovanni, in: Giovanni Monticolo (Hrsg.): Cronache veneziane antichissime (= Fonti per la storia d’Italia [Medio Evo], IX), Rom 1890, S. 129–131, 133, 178 (Digitalisat).
- Luigi Andrea Berto (Hrsg.): Giovanni Diacono, Istoria Veneticorum (= Fonti per la Storia dell’Italia medievale. Storici italiani dal Cinquecento al Millecinquecento ad uso delle scuole, 2), Zanichelli, Bologna 1999 (auf Berto basierende Textedition im Archivio della Latinità Italiana del Medioevo (ALIM) der Universität Siena).
- Origo civitatum Italiae seu Venetiarum (Chronicon Altinate et Chronicon Gradense), Hrsg. Roberto Cessi, Rom 1933, S. XXVII, XXXI, XLII, 29, 45 f., 125, 134 f., 138.
- Ester Pastorello (Hrsg.): Andrea Dandolo, Chronica per extensum descripta aa. 460–1280 d.C., (= Rerum Italicarum Scriptores XII,1), Nicola Zanichelli, Bologna 1938, S. 164–168, 172, 358 f. (Digitalisat, S. 164 f.)
- Marino Sanudo, Le vite dei dogi, hrsg. von Giovanni Monticolo, in: Rerum Italicarum Scriptores XXII, 4, Città di Castello 1900–1911, S. 123.
- Șerban V. Marin (Hrsg.): Gian Giacomo Caroldo. Istorii Veneţiene, Bd. I: De la originile Cetăţii la moartea dogelui Giacopo Tiepolo (1249), Arhivele Naţionale ale României, Bukarest 2008, S. 66 f.
- Roberto Cessi (Hrsg.): Documenti relativi alla storia di Venezia anteriori al Mille, 2 Bde., Bd. II, Padua 1942, S. 28–30, 33 f., 36.
Literatur
- Gina Fasoli: Le incursioni ungare in Europa nel sec. X, G. C. Sansoni, Florenz 1945, S. 91 ff: La grande spedizione in Italia dell’ 898–900.
- Marco Pozza: Tribuno, Pietro, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 96 (2019) 767–769.
Anmerkungen
- Vgl. Gina Fasoli: Le incursioni ungare in Europa nel sec. X, G. C. Sansoni, Florenz 1945, S. 91 ff: La grande spedizione in Italia dell’ 898–900.
- Marco Pozza: Tribuno, Pietro, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 96 (2019) 767–769, hier: S. 768.
- Roberto Pesce (Hrsg.): Cronica di Venexia detta di Enrico Dandolo. Origini–1362, Centro di Studi Medievali e Rinascimentali «Emmanuele Antonio Cicogna», Venedig 2010, S. 40 f.
- Pietro Marcello: Vite de’prencipi di Vinegia in der Übersetzung von Lodovico Domenichi, Marcolini, 1558, S. 28–30 (Digitalisat).
- Șerban V. Marin (Hrsg.): Gian Giacomo Caroldo. Istorii Veneţiene, Bd. I: De la originile Cetăţii la moartea dogelui Giacopo Tiepolo (1249), Arhivele Naţionale ale României, Bukarest 2008, S. 66. (online).
- Heinrich Kellner: Chronica das ist Warhaffte eigentliche vnd kurtze Beschreibung, aller Hertzogen zu Venedig Leben, Frankfurt 1574, S. 11r–11v (Digitalisat, S. 11r).
- Alessandro Maria Vianoli: Der Venetianischen Hertzogen Leben / Regierung, und Absterben / Von dem Ersten Paulutio Anafesto an / biss auf den itzt-regierenden Marcum Antonium Justiniani, Nürnberg 1686, S. 114–114, Übersetzung (Google Books).
- Jacob von Sandrart: Kurtze und vermehrte Beschreibung Von Dem Ursprung / Aufnehmen / Gebiete / und Regierung der Weltberühmten Republick Venedig, Nürnberg 1687, S. 21 f. (Digitalisat, S. 21).
- Johann Friedrich LeBret: Staatsgeschichte der Republik Venedig, von ihrem Ursprunge bis auf unsere Zeiten, in welcher zwar der Text des Herrn Abtes L’Augier zum Grunde geleget, seine Fehler aber verbessert, die Begebenheiten bestimmter und aus echten Quellen vorgetragen, und nach einer richtigen Zeitordnung geordnet, zugleich neue Zusätze, von dem Geiste der venetianischen Gesetze, und weltlichen und kirchlichen Angelegenheiten, von der innern Staatsverfassung, ihren systematischen Veränderungen und der Entwickelung der aristokratischen Regierung von einem Jahrhunderte zum andern beygefügt werden, 4 Bde., Johann Friedrich Hartknoch, Riga und Leipzig 1769–1777, Bd. 1, Leipzig und Riga 1769, S. 182–187 (Google Books).
- Samuele Romanin: Storia documentata di Venezia, 10 Bde., Pietro Naratovich, Venedig 1853–1861 (2. Auflage 1912–1921, Nachdruck Venedig 1972), Bd. 1, Venedig 1853, S. 206–215 (Digitalisat).
- August Friedrich Gfrörer: Geschichte Venedigs von seiner Gründung bis zum Jahre 1084. Aus seinem Nachlasse herausgegeben, ergänzt und fortgesetzt von Dr. J. B. Weiß, Graz 1872, S. 217–225 (Digitalisat).
- Pietro Pinton: La storia di Venezia di A. F. Gfrörer, in: Archivio Veneto 25,2 (1883) 288–313, hier: S. 298–301 (Teil 2) (Digitalisat).
- Francesco Zanotto: Il Palazzo ducale di Venezia, Bd. 4, Venedig 1861, S. 40–42 (Digitalisat).
- Emmanuele Antonio Cicogna: Storia dei Dogi di Venezia, Bd. 1, Venedig 1867, o. S.
- Heinrich Kretschmayr: Geschichte von Venedig, 3 Bde., Bd. 1, Gotha 1905, S. 103 f.
- John Julius Norwich: A History of Venice, Penguin, London 2003, S. 36–39.
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