Vereinigte Staatsschulen für freie und angewandte Kunst

Die Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst in Berlin-Charlottenburg waren eine Kunsthochschule und bestanden von 1924 bis 1939. Danach hieß die Einrichtung bis 1945 Staatliche Hochschule für bildende Künste. Aus der Fusion der Akademischen Hochschule für die bildenden Künste mit der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums hervorgegangen, waren die Vereinigten Staatsschulen (VS) von der Aufbruchstimmung der Weimarer Zeit und von Gedanken des Deutschen Werkbunds geprägt. Die VS standen bis 1933 für reformerische, praxisnahe Lehrmodelle und künstlerische Weltoffenheit. „Freies“ Kunstschaffen, reproduzierendes Kunsthandwerk und Architektur wurden unter einem Dach und zum Teil in gemeinsamen Klassen gelehrt und der gegenseitige Austausch der Studierenden gefördert. Gründungsdirektor war der Architekt, Karikaturist und Designer Bruno Paul.

Geschichte

Bereits 1919 hatte der Direktor der Unterrichtsanstalt, Bruno Paul, die „Zusammenlegung der gesamten Künstlerausbildung, sowohl für die ‚freien’ als auch für die ‚angewandten’ Künste in der Einheitskunstschule für Architektur, Plastik und Malerei“ angeregt. Das wurde ab 1924 an den Vereinigten Staatsschulen konsequent umgesetzt. Die Fusion entsprach der staatlichen Sparpolitik und war zugleich Bestandteil von Reformen, die der kunstgewerblichen Richtung zu mehr Anerkennung und engerer Verknüpfung mit den akademischen Fächern verhelfen sollten.

Um 1930 waren an den VS etwa 300 Studierende eingeschrieben, die neben einer Schwerpunkt-Abteilung (Freie oder Angewandte Kunst oder Baukunst) gemeinsame Klassen und Werkstätten besuchten, so z. B. Kunstgeschichte, Zeichnen, Schrift, Anatomie, Perspektive, Malerei, Druck. Die Schwerpunktabteilungen waren: Abteilung für freie Kunst, Abteilung für angewandte Kunst (ab 1. Oktober 1934 Teil der Abteilung für freie Kunst) und Abteilung für Architektur (ab 1. Oktober 1934 Abteilung für Baukunst). Ähnlich strukturiert waren beispielsweise die damalige Badische Landeskunstschule Karlsruhe, die Kölner Werkschulen oder das Bauhaus: Der Widerspruch zwischen Kunst und Handwerk sollte überwunden werden und die Kunst stärker in den Alltag der Bevölkerung Eingang finden.

Im heute noch als Hochschulbau genutzten Haus Hardenbergstraße 33 am Steinplatz in Berlin-Charlottenburg gab es ein reges Kulturleben. Eine Studierendenvertretung organisierte Ausstellungen und Benefizveranstaltungen für bedürftige Studienkollegen, dazu gehörten spektakuläre Kostümfeste („Zinnober“) und Weihnachtsmessen. Manches aufstrebende Talent kam durch Mitarbeit in Projekten der Professoren und durch Gewährung eines Meisterateliers zu Ansehen und ersten Aufträgen. Heute am bekanntesten dürften sein: Fritz Cremer (Meisterschüler bei Wilhelm Gerstel, Schöpfer des Buchenwald-Denkmals) und Felix Nussbaum (expressionistischer Maler, Meisterschüler bei Hans Meid, ermordet 1944 in Auschwitz).

Expressionismus, Surrealismus, Kubismus und Neue Sachlichkeit gewannen aus Kreisen der VS wesentliche Impulse. Die politischen Konflikte der Weimarer Republik hinterließen an der Hochschule ebenso Spuren wie der schon in den 1920er Jahren aufkommende Antisemitismus. Wegen seines Versuchs, den (jüdischen) Grafiker Lucian Bernhard zu berufen, wurde Direktor Bruno Paul 1932 selbst als „Jude“ angeprangert.

Mit Einverständnis des Kultusministers legte Bruno Paul sein Amt als Direktor am 31. Dezember 1932 nieder. Pauls Nachfolger wurde Hans Poelzig, der wiederum am 1. Mai 1933 vom NS-Funktionär Max Kutschmann abgelöst wurde. Kutschmann zerschlug die Strukturen der Weimarer Zeit und sorgte dafür, dass bis 1936 jüdische und regimekritische Lehrkräfte entlassen wurden. 1939 erfolgte die Umstrukturierung zur Staatlichen Hochschule für bildende Künste, 1945 die Neugründung als Hochschule für bildende Künste. 1975 wurde daraus – durch Fusion mit der Musikhochschule und der Hochschule für darstellende Künste – die Hochschule der Künste (HdK), aus dieser im Jahr 2001 die heutige Universität der Künste Berlin (UdK).

Direktoren

  • 1924–1932: Bruno Paul
  • 1933: Hans Poelzig (kommissarisch)
  • 1933–1943: Max Kutschmann
  • 1944–1945: Otto von Kursell

Direktorial-Assistenten

  • 1924–1945: Paul Kautzsch (1924 Kustos)
  • 1924–1933: Wolfgang Sörrensen (1924 Kustos)
  • 1933–1945: Winfried Wendland (Kustos, ab 1941 im Militärdienst)

Bekannte Lehrkräfte

Lehrer, über deren Leben und Werk wenig bekannt ist, sind nicht aufgeführt.

Name Zeitraum Kunstrichtung Bereich Lehrfach
Oskar Bangemann 1924–1945 Holzstecher Gemeinsame Werkstätten Holzschnitt
Ludwig Bartning 1924–1945 Architekt Abteilung für angewandte Kunst Zeichnen
Lucian Bernhard 1924–1925 Grafiker Abteilung für angewandte Kunst Gebrauchsgrafik
Karl Blossfeldt 1924–1925 Bildhauer und Fotograf Abteilung für angewandte Kunst Pflanzenmodellieren
Ernst Böhm 1924–1937 Grafiker Abteilung für angewandte Kunst allgemeine Dekoration
Arno Breker 1938–1944 Bildhauer und Architekt Abteilung für Architektur Bildhauerei
Wilhelm Büning 1924–1945 Architekt Abteilung für Architektur Bauaufnahme
Fritz Burmann 1937–1943? Maler Abteilung für freie Kunst dekorative Malerei
Bodo von Campenhausen 1934–1944 Grafiker und Keramiker Gemeinsame Werkstätten gebrannte Erden
Otto D. Douglas-Hill 1928–1945 Bildhauer und Keramiker Gemeinsame Werkstätten Gebrannte Erden
August Wilhelm Dressler 1934–1938 Maler Gemeinsame Ergänzungsklassen Aktzeichnen
Franz Eichhorst 1940–1945 Maler und Radierer Abteilung für freie Kunst Malen und Zeichnen
August Endell 1925 Architekt Abteilung für Architektur
Lore Feininger 1938–1943 Fotografin
Wilhelm Gerstel 1924–1945 Bildhauer Abteilung für freie Kunst Plastik
Ludwig Gies 1924–1937 Maler und Bildhauer Abteilung für angewandte Kunst Kleinplastik
Alfred Grenander 1924–1931 Architekt Abteilung für Architektur Architektur und Gartenanlage
Otto Haas-Heye 1924–1925 Modeschöpfer Abteilung für angewandte Kunst allgemeine Dekoration, Mode
Ernst Henseler 1924–1927 Maler und Zeichner Gemeinsame Ergänzungsklassen Akt-, Kopf- und Kostümzeichnen
Oskar Hermann Werner Hadank 1924–1945 Grafiker Abteilung für angewandte Kunst Gebrauchsgrafik
Karl Richard Henker 1933–1938? Architekt Abteilung für freie Kunst Linearzeichnen und Architekturaufnahme
Gustav Hilbert 1928–1945 Maler und Grafiker Abteilung für freie Kunst Malen und Zeichnen
Karl Hofer 1924–1933 Maler Abteilung für freie Kunst Malerei
Sepp Kaiser 1924–1933 Architekt Abteilung für Architektur Projektion
Karl Kämpf 1937–1945 Maler Abteilung für angewandte Kunst Gebrauchsgrafik
Heinrich Kamps 1933–1937 Maler Abteilung für angewandte Kunst Dekorative Malerei
Max Kaus 1937–1939 Maler und Grafiker Abteilung für freie Kunst figürliche Malerei
Elisabeth Keimer 1934–1935 Malerin und Glaskünstlerin Gemeinsame Werkstätten Glasmalerei
César Klein 1924–1933 Maler und Grafiker Abteilung für Architektur Wand- und Glasmalerei
Maximilian Klewer 1924–1945 Maler und Zeichner Abteilung für freie Kunst Akt-, Kopf- und Kostümzeichnen
Fritz Klimsch 1924–1934? Bildhauer Abteilung für freie Kunst Bildhauerei
Walter Klinkert 1939–1943 Maler und Grafiker Abteilung für Architektur Architekturzeichnen
Kurt Kluge 1924–1940 Bildhauer und Grafiker Gemeinsame Werkstätten Erzplastik
Max Friedrich Koch 1924–1930 Historienmaler Gemeinsame Ergänzungsklassen Akt-, Kopf- und Kostümzeichnen
Reinhold Koch-Zeuthen 1938–1945 Maler und Grafiker Abteilung für freie Kunst Malerei
Martin Körte 1924–1929 Maler Gemeinsame Ergänzungsklassen Anatomie
Otto von Kursell 1933–1945 Maler und Grafiker Abteilung für freie Kunst Zeichnen, Bildnismalerei
Max Kutschmann 1924–1943 Kunstwissenschaftler Abteilung für Architektur dekorative Malerei
Franz Lenk 1933–1938 Maler Gemeinsame Ergänzungsklassen Praktische Malübungen
Carl Christoph Lörcher 1933–1945 Architekt Abteilung für Architektur Ländliches Bau- und Siedlungswesen
Oskar Martin-Amorbach 1941–1945 Maler Abteilung für freie Kunst Malen und Zeichnen
Hans Meid 1924–1934 Maler und Grafiker Abteilung für freie Kunst Grafik
Wilhelm Nauhaus 1928–1945 Buchbinder Gemeinsame Werkstätten Buchbinden
Kay Heinrich Nebel 1936–1937 Maler Abteilung für Architektur Malerei
Emil Orlik 1924–1932 Maler und Grafiker Abteilung für freie Kunst Grafische und Buchkunst
Bruno Paul 1924–1932 Architekt Abteilung für Architektur Architektur und Gartenanlage
Cäsar F. Pinnau 1940–1944 Architekt Abteilung für Architektur Architektur
Paul Plontke 1924–1945 Grafiker und Maler Abteilung für freie Kunst Malerei
Waldemar Raemisch 1924–1937 Metallbildhauer Abteilung für angewandte Kunst Metallplastik
Walter Reger 1924–1933 Bildhauer Abteilung für Architektur Bauplastik
Erik Richter 1933–1945 Maler und Grafiker Abteilung für freie Kunst Perspektive, Landschaftsmalerei
Georg Walter Rössner 1934–1945 Maler und Grafiker Abteilung für freie Kunst Bildnismalerei
Johannes Röttger 1924–1936 Bildhauer Gemeinsame Ergänzungsklassen Aktmodellieren
Hermann Sandkuhl 1924–1936 Maler Abteilung für freie Kunst Maltechnik
Oskar Schlemmer 1932–1933 Maler und Bildhauer Abteilung für freie Kunst Zeichnen und Malen
Edwin Scharff 1924–1933 Bildhauer und Maler Abteilung für angewandte Kunst Bauplastik
Bruno Ernst Scherz 1924–1945 Architekt und Maler Abteilung für angewandte Kunst Musterzeichnen und Innenarchitektur
Eugen Schmohl 1924–1926 Architekt Abteilung für Architektur Architekturdarstellung
Karl-Tobias Schwab 1924–1945 Glasmaler und Grafiker Abteilung für angewandte Kunst Schrift und Schriftanwendung
Franz Seeck 1924–1934 Architekt Abteilung für Architektur Architektur und Gartengestaltung
Otto Seeck 1924–1931? Maler Abteilung für freie Kunst Perspektive
Ferdinand Spiegel 1924–1937 Maler und Grafiker Abteilung für freie Kunst Dekorationsmalerei
Adolf Strübe 1924–1945 Maler Abteilung für freie Kunst Dekorative Malerei,
Wilhelm Tank 1929–1945 Maler und Bildhauer Gemeinsame Ergänzungsklassen Anatomie und Bewegungslehre
Heinrich Tessenow 1926–1933 Architekt Abteilung für Architektur Architektur
Paul Thol 1933–1945 Maler und Restaurator Gemeinsame Werkstätten Denkmalpflege
Alfred Vocke 1934–1937 Bildhauer Abteilung für Architektur Bauplastik
Kurt Wehlte 1933–1945 Maler Gemeinsame Werkstätten Maltechnik, Wand- und Tafelmalerei
Emil Rudolf Weiß 1924–1933 Grafiker und Typograf Abteilung für angewandte Kunst Dekorative Malerei und Musterzeichnen
Paul Wynand 1934–1945 Bildhauer Abteilung für Architektur Bauplastik
Erich Wolfsfeld 1924–1935 Maler und Grafiker Abteilung für freie Kunst Radierung und Malerei
Herbert Zeitner 1925–1939 Gold- und Silberschmied Gemeinsame Werkstätten Edelmetall

Bekannte Schülerinnen und Schüler (Auswahl)

  • Hermann Blumenthal
  • Josefthomas Brinkschröder
  • Cay-Hugo von Brockdorff
  • Hilde Broër
  • Annette Caspar
  • Fritz Cremer
  • Paul Eick
  • Hans Fähnle
  • Hans Fischer-Schuppach
  • Jeane Flieser
  • Otto Gerster
  • Waldemar Grzimek
  • Katrine Harries
  • Bernhard Heiliger
  • Alfred Kitzig
  • Ida Köhne
  • Magdalena Kreßner
  • Lotte Laserstein
  • Hanna Nagel
  • Ernst Wilhelm Nay
  • Felix Nussbaum
  • Herbert Ortel
  • Wilhelm Paulke
  • Anna Richter
  • Charlotte Salomon
  • Erna Schmidt-Caroll
  • Erich Schönfeld
  • Gretel Schulte-Hostedde
  • Elisabeth Schumacher
  • Kurt Schumacher
  • Will Schwarz
  • Gustav Seitz
  • Lieselotte Strauß
  • Elsa Thiemann

Siehe auch

Veröffentlichungen (Auswahl)

  • Ausstellung von Meister- und Schülerarbeiten aus keramischen Lehr- und Versuchswerkstätten, in den Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst. Hrsg. von Nicola Moufang; Deutsche Keramische Gesellschaft. Edler & Krische, Hannover / Berlin 1927. 73 S., Abb.
  • Glas und Metall als Baustoff – Glas als Instrument, Gebrauchsgegenstand, Dekorationsmittel – Ausstellung der Arbeitsgemeinschaft für Deutsche Handwerkskultur verbunden mit der Sonderausstellung „Die neue Küche“ der Architektenvereinigung „Der Ring“ in den Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst, Berlin-Charlottenburg. Hrsg. von Ernst Böhm; Arbeitsgemeinschaft für Deutsche Handwerkskultur. Berlin 1929. 56, 19, 8 S.

Literatur

  • Christine Fischer-Defoy: Kunst Macht Politik. Die Nazifizierung der Kunst- und Musikhochschulen in Berlin. Elefanten Press, Berlin 1988. S. 301, 335 u. ö.
  • Akademie der Künste Berlin (Hrsg.): „Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen“. Dreihundert Jahre Akademie der Künste und Hochschule der Künste. Henschel Verlag, Berlin 1996.
  • Hainer Weißpflug: Vereinigte Staatsschulen für Freie und Angewandte Kunst. In: Hans-Jürgen Mende, Kurt Wernicke (Hrsg.): Berliner Bezirkslexikon, Charlottenburg-Wilmersdorf. Luisenstädtischer Bildungsverein. Haude und Spener / Edition Luisenstadt, Berlin 2005, ISBN 3-7759-0479-4 (luise-berlin.de – Stand 7. Oktober 2009).
  • Wolfgang Ruppert (Hrsg.): Künstler im Nationalsozialismus. Die ‚Deutsche Kunst‘, die Kunstpolitik und die Berliner Kunsthochschule. Böhlau, Köln 2015, ISBN 978-3-412-22429-5.
  • Stefanie Johnen, Die Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst in Berlin. Kunsthochschulgeschichte zwischen Weimarer Republik und NS-Diktatur, Metropol, Berlin 2018, ISBN 978-3-86331-415-6.
  • Antje Kalcher, Dietmar Schenk: Vor der UdK. 1. Auflage. Universität der Künste Berlin, 2024, S. 63–77 (kobv.de [PDF]).

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