Die Volksabstimmungen in Hessen vom 22. September 2002 waren obligatorische Referenden, bei denen das Stimmvolk über insgesamt drei Änderungen der Landesverfassung entschied: Der Aufnahme des Staatsziels Sport, der Verlängerung der Legislaturperiode sowie der Aufnahme des Konnexitätsprinzips. Der Auslöser für diese bis dahin umfassendste Änderung der Verfassung war ein entsprechender Gestezesbeschluss im Hessischen Landtag, der alle drei Verfassungsänderungen beinhaltete. Laut Hessischer Verfassung, müssen alle Verfassungsänderungen dem Stimmvolk jeweils zur verbindlichen Entscheidung vorgelegt werden. Alle vorgeschlagenen Änderungen wurden von Stimmvolk bestätigt, wobei die einfache Mehrheit der Stimmen entschied. Die Volksabstimmungen fanden zeitgleich mit der Bundestagswahl statt. Die Abstimmung über die drei Vorlagen bildete das sechste Plebiszit in der Geschichte Hessens nach der Zeit des Nationalsozialismus.
Der Weg zu den Volksabstimmungen
Die schwarz-gelbe Koalition unter Ministerpräsident Roland Koch nahm sich mehrere Änderungen der Hessischen Landesverfassung vor. Die Aufnahme des Staatsziels Sport war eine seit vielen Jahren von Sportverbänden, vor allem an die CDU herangetragene Forderung. Die Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre gehört zu den damals bundesweit diskutierten Themen, wobei das Land Anfang 2002 zu der immer kleiner werdenden Gruppe gehörte, die noch eine vierjährige Legislatur kannten. Die Verankerung des Konnexitätsprinzips wurde ebenfalls bundesweit diskutiert, wobei das Ansinnen kaum strittig war, und die Aufnahme weithin als notwendige Klarstellung und Modernisierung betrachtet wurde.
Ergebnisse der Volksabstimmungen
Jede der drei Änderungen der Landesverfassung wurde einer eigenen Volksabstimmung unterzogen, die zusammen am Tag der Bundestagswahl stattfanden. Die Stimmabgabe für die Plebiszite erfolgte auf einem gemeinsamen Stimmzettel, zusätzlich zum Stimmzettel der Wahl. Die Stimmbeteiligung wurde somit für alle drei Volksabstimmungen gemeinsam erhoben, es war jedoch möglich, Vorlage getrennt voneinander ungültig zu machen.
Von den gut 4,3 Millionen Stimmberechtigten beteiligten sich 3.445.469 (79,6 %) an den Volksabstimmungen. Alle drei Verfassungsänderungen wurden vom Stimmvolk angenommen, wobei der Grad der Zustimmung schwankte. Während die Aufnahme des Staatsziels Sport sowie des Konnexitätsprinzips von jeweils über 70 % der Abstimmenden unterstützt wurde, erhielt die Verlängerung der Legislaturperiode nur 55 % „Ja“-Stimmen.
| Vorlage | Stimmberechtigte (a) | Abstimmende (b) | gültige Stimmen (c) | ungültige Stimmen | Ja | Nein | |||||
|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
| Anzahl | Anzahl | Anteil (an a) | Anzahl | Anteil (an b) | Anzahl | Anteil (an b) | Anzahl | Anteil (an c) | Anzahl | Anteil (an c) | |
| (1) Aufnahme des Sports | 4.328.293 | 3.445.469 | 79,60 % | 3.225.453 | 93,61 % | 220.016 | 6,39 % | 2.381.253 | 73,83 % | 844.200 | 26,17 % |
| (2) Verlängerung der Landtagswahlperiode | 3.242.713 | 94,12 % | 202.756 | 5,88 % | 1.799.500 | 55,49 % | 1.443.213 | 44,51 % | |||
| (3) Aufnahme des Konnexitätsprinzips | 3.142.045 | 91,19 % | 303.424 | 8,81 % | 2.394.393 | 76,20 % | 747.652 | 23,80 % | |||
Aufnahme des Sports
Die Änderung sah vor, den Sport als ein weiteres Staatsziel in die Landesverfassung mit aufzunehmen. Im Jahr 1991 war bereits durch Volksabstimmung der Schutz der natürlichen Umwelt als erstes Staatsziel verankert worden. In der Folgezeit hatte es vielfach Forderungen gegeben, den Sport in gleicher Weise in die Verfassung aufzunehmen. Dazu sollte in der Verfassung ein neuer Artikel 62a hinzugefügt werden mit folgendem Wortlaut:
„Der Sport genießt den Schutz und die Pflege des Staates, der Gemeinden und Gemeindeverbände.“
Das Gesetz wurde am 12. Juni 2002 im Hessischen Landtag mit den Stimmen der Fraktionen CDU, SPD und FDP beschlossen, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmte dagegen. In der Volksabstimmung unterstützten 73,8 % der gültig Abstimmenden die Änderung. Sie trat am 19. Oktober 2002, einen Tag nach der Verkündung, in Kraft.
Verlängerung der Landtagswahlperiode
Die Änderung sah vor, die Legislaturperiode des Hessischen Landtags von vier auf fünf Jahre zu verlängern. Vorangegangen war eine in allen deutschen Ländern geführte Debatte über die Länge der Legislatur. Während diese Anfang der 1990er Jahre überwiegend vier Jahre währte, mehrten sich die Stimmen, die eine Verlängerung auf fünf Jahre forderten. So hatten die Länder Rheinland-Pfalz, Brandenburg, Sachsen, Thüringen, Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Berlin und Schleswig-Holstein in den Jahren zuvor die Legislatur entsprechend verlängert. Dies sollte in Hessen durch eine entsprechende Verfassungsänderung vollzogen werden. Konkret sollte hierzu der Wortlaut des Artikels 79 Satz 1 („Der Landtag wird auf vier Jahre gewählt (Wahlperiode).“) geändert werden in:
„Der Landtag wird auf fünf Jahre gewählt (Wahlperiode).“
Weiterhin sollte im Artikel 161 ein zweiter Absatz ergänzt werden der klarstellte, dass die Verlängerung der Wahlperiode mit der nachfolgenden Wahl zum 16. Hessischen Landtag inkrafttreten würde.
Das Gesetz wurde am 12. Juni 2002 im Hessischen Landtag mit den Stimmen der Fraktionen CDU, SPD und FDP beschlossen, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmte dagegen. In der Volksabstimmung unterstützten 55,5 % der gültig Abstimmenden die Änderung. Sie trat am 19. Oktober 2002, einen Tag nach der Verkündung, in Kraft.
Aufnahme des Konnexitätsprinzips
Die Änderung sah vor, das Konnexitätsprinzip ausdrücklich in die Landesverfassung aufzunehmen. Es regelt das finanzielle Verhältnis zwischen den politischen Ebenen und besagt, dass die Ausgabenlast der Aufgabenlast zu folgen hat. Wenn das Land beispielsweise den Kommunen neue Aufgaben zuweist, so hat das Land die hierfür notwendigen finanziellen Mittel bereitzustellen. Vorausgegangen war eine bundesweit geführte Debatte über die steigende Ausgabenlast vor allem bei den Kommunen, nicht zuletzt durch die Zuweisung immer weiterer Aufgaben durch die Länder. Zwar galt das Konnexitätsprinzip als anerkannter Grundsatz, war jedoch in vielen Ländern nicht ausdrücklich verfassungrechtlich verankert, was als Mangel gesehen wurde. Auf Druck der Kommunen führten alle 13 deutschen Flächenländer schließlich entsprechende Klauseln in ihre Landesverfassungen ein.
In Hessen sollte hierzu in der Verfassung in Artikel 137 ein neuer ABsatz 6 hinzugefügt werden mit folgendem Wortlaut:
„Werden die Gemeinden oder Gemeindeverbände durch Landesgesetz oder Landesrechtsverordnung zur Erfüllung staatlicher Aufgaben verpflichtet, so sind Regelungen über die Kostenfolgen zu treffen. Führt die Übertragung neuer oder die Veränderung bestehender eigener oder übertragener Aufgaben zu einer Mehrbelastung oder Entlastung der Gemeinden oder Gemeindeverbände in ihrer Gesamtheit, ist ein entsprechender Ausgleich zu schaffen. Das Nähere regelt ein Gesetz.“
Das Gesetz wurde am 12. Juni 2002 im Hessischen Landtag einstimmig beschlossen. In der Volksabstimmung unterstützten 76,2 % der gültig Abstimmenden die Änderung. Sie trat am 19. Oktober 2002, einen Tag nach der Verkündung, in Kraft.
Folgen
Die drei Einzeländerungen der Hessischen Verfassung traten am 19. Oktober 2002 in Kraft.
Das Staatsziel Sport war noch einmal im Jahr 2018 Gegenstand einer Volksabstimmung. Dabei unterstützte das Stimmvolk den Vorschlag, das Staatsziel Sport vom Artikel 62a, gruppiert mit einer ganzen Reihe weiterer Staatsziele, als neuen Artikel 26g umzustellen. Zudem wurde es das Wort „Pflege“ durch „Förderung“ ersetzt.
Zur Verlängerung der Legislaturperiode war die Debatte deutlich polarisierter. Als Ausgleich für seltenere Wahlen wurde verschiedentlich die Stärkung der Direkten Demokratie in Hessen gefordert, was schließlich ebenfalls im Jahr 2018 durch die Änderung von Artikel 121 der Verfassung umgesetzt wurde. Mit Ausnahme der Freien Hansestadt Bremen, in der das Stimmvolk eine entsprechende Verlängerung der Legislatur im Volksentscheid mehrheitlich ablehnte, haben heute alle deutschen Bundesländer eine fünfjährige Legislaturperiode.
Die Aufnahme des Konnexitätsprinzips war politisch hingegen weitgehend unstrittig und ist bis heute unverändert in der Verfassung enthalten. Allerdings hat die Änderung nicht dazu geführt, dass die Kritik und Warnung der Kommunen vor einer Überlastung durch immer neue Aufgaben verstummt ist.
Siehe auch
Literatur
- Gesetz zur Ergänzung der Verfassung des Landes Hessen (Aufnahme des Sports) und weitere. In: Hessische Staatskanzlei (Hrsg.): Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen. Band 2002, Nr. 26, 24. Oktober 2002, ZDB-ID 2688782-4 (hessen.de [PDF]).
- Der Landeswahlleiter für Hessen: Endgültiges Ergebnis der Volksabstimmung[en] am 22. September 2002. In: Hessisches Ministerium des Innern und für Sport (Hrsg.): Staatsanzeiger für das Land Hessen. Band 2002, Nr. 41, ZDB-ID 2124017-6, S. 3898–3900 (staatsanzeiger-hessen.de [PDF]).
wikipedia, wiki, enzyklopädie, buch, bibliothek, artikel, lesen, kostenlos herunterladen, Informationen über Volksabstimmungen in Hessen 2002, Was ist Volksabstimmungen in Hessen 2002? Was bedeutet Volksabstimmungen in Hessen 2002?